Es grünt so grün die Emanzipation

Kultur / 08.10.2021 • 19:08 Uhr
Die Produktion versteht sich als Gemeinschaftsleistung von Profis und im Chor agierenden Amateuren.
Die Produktion versteht sich als Gemeinschaftsleistung von Profis und im Chor agierenden Amateuren.

Musiktheater Vorarlberg rückt bei “My Fair Lady” die starken Frauen in den Fokus und erntet Begeisterung.

Götzis Einen „Wohlfühlabend“ hat Nikolaus Netzer, Intendant des Musiktheaters Vorarlberg, angekündigt und dafür hat sein Team mit „My Fair Lady“ nicht nur auf der Bühne und im Orchestergraben alles gegeben, auch dem Saal in Götzis AmBach ließ man etwas mehr Wohlfühlambiente angedeihen als sonst. Daraus zu schließen, dass das Musical „My Fair Lady“ einen Weichspülgang durchlaufen hätte, wäre allerdings falsch, und das ist auch gut so. Das 1956 uraufgeführte Werk von Frederick Loewe ist von der Musik her auf reine Unterhaltung angelegt. Die auf dem Bühnenstück „Pygmalion“ von George Bernard Shaw basierende Handlung enthält allerdings ein paar heftige Sager, die man bewusst nicht eliminierte. Auch das ist gut so. Der Lehrgang, den die berühmt gewordene Bühnenfigur Eliza Doolittle durchlebt, macht ein Mann-Frau-Verhältnis deutlich, bei dem sich Professsor Henry Higgins als eitler, überheblicher Sack aufspielt, der Contenance als das wichtigste Rüstzeug auf dem gesellschaftlichen Parkett bezeichnet, diese im privaten Rahmen bzw. vor seiner Schülerin aber oft verliert.

Gekonnt angebrachte Spitzen

Dieses Spannungsverhältnis herauszuarbeiten – daran ist eine „My Fair Lady“-Inszenierung zu messen. Putzige Verfilmungen darf man getrost vergessen und so handelt auch Maria Kwaschik, die an verschiedenen deutschen Bühnen arbeitet und vom Musiktheater-Verein für diese Produktion engagiert wurde. Dass die Möglichkeiten aufgrund des Budgets wie des Raumes begrenzt sind, hat das Unternehmen, das vor einigen Jahren mit großem Erfolg die Bellini-Oper „I Capuleti et I Montecchi“ umsetzte, noch stets bewältigt. Bühnenbildnerin Isabelle Kaiser setzt auf einen Wohnwagen als zentrales Objekt. In der ersten Szene wird er von Straßenkünstlern behaust, mit denen Eliza auftritt, danach fungiert er als Lehrzimmer und schließlich findet Eliza mit Freddy darin ein kurzes Eheglück. Dass sich der bis über die beiden Ohren verliebte Kerl zum Macho entwickelt, ist eine der Spitzen, die Maria Kwaschik gekonnt anbringt. Schließlich ist Eliza bei ihr auch nicht das arme Hascherl, die junge Frau setzt bewusst auf Bildung, um im Leben weiterzukommen. Eine Strategie, die immer noch gültig ist. Dass die Männer in ihrem Umfeld wenig taugen, checkt sie rasch, am Ende sieht es so aus, dass sie am besten überhaupt das Weite sucht.

Bis dahin hat sich das Publikum an der besonderen Dialektfassung (selbstverständlich mit Vorarlberger Akzent), an der skurrilen Überhöhung vieler Einzelszenen sowie den Stimmen erfreut. Dass besagter Wohnwagen zu beengten Situationen führt, mag irritieren, aber auch das wirkt witzig, wie die üppigen Zuckerlfarben der feinen Gesellschaft beim Pferderennen (das man via TV verfolgt), das Grinsen der Pferdenarren oder das Quietschen von Mrs. Pearce. Dass ihre Darstellerin Monika Bonner an sich über eine markante, gut geschulte Singstimme verfügt, darf sie mit dem Eric-Carmen-Song „All By Myself“ beweisen, den sie im Geheimen ins Aufnahmegerät von Higgins schmettert. Es gibt also noch eine Frau, die sich befreien wird. Mrs. Higgins, charmant resolut gespielt von Gisela Razen, hat es bereits getan. Der Cast weist weitere bekannte Gesichter auf, Reinhard Razen verleiht Oberst Pickering Mitgefühl und eine angenehme Stimme. Riccardo Di Francesco (Higgins) kommt mit der verlangten Komplexität begeisternd zurecht, wird doch eine harte Sprech-, aber eine angenehm geschmeidige Singstimme verlangt. Samuel Tobias Klauser (Freddy) bringt starkes Musicalfeeling ein, und Stefan Damm kann als Alfred Doolittle seine Erfahrungen als Clown gut zur Wirkung bringen.

Wunderbare Eliza

Augen und Ohren sind freilich stets auf Eliza gerichtet. Sabine Winter bringt stimmlich alles (und mehr) mit, was es für „Es grünt so grün“ etc. braucht. Schon bei ihrem Engagement bei den Bregenzer Festspielen in der Oper „Hamlet“ hat sie ihre schauspielerischen Fähigkeiten eingebracht, beim Musiktheater überzeugt sie zudem tanzend. Solisten, Chor (Leitung: Darina Naneva), Artistinnen (Choreografie: Mirjam Karvat) und die mitwirkenden Kinder hat Nicole Wehinger spaßig kostümiert. Ganz am Rande sei angemerkt, dass man manche der langen Dialogpassagen ohne Verständnisverlust straffen könnte. Schließlich will man viel von der Musik hören. Der deutsche Dirigent Michael Mader leitet das eigens zusammengestellte Orchester, das neben viel Schwung einen wunderschön satten Streicherton hören lässt. Die große Besetzung des Orchesters ist bei Musicals mittlerweile nicht selbstverständlich. Gut, dass man sie sich geleistet hat. Das erhöht die Qualität wie den Genuss und rundet ein absolut farbenprächtiges Gesamtbild, das lange nachwirkt. Ebenso wie die Tatsache, dass sich das Unternehmen auch noch in Sachen Musikvermittlung engagiert und die Generalprobe für Schulen und Betreuungseinrichtungen öffnete.

Sabine Winter mit Reinhard Razen und Riccardo Di Francesco. Theater/Mathis, Paul
Sabine Winter mit Reinhard Razen und Riccardo Di Francesco. Theater/Mathis, Paul
Es grünt so grün die Emanzipation

Weitere Aufführungen am 10., 12., 14. und 16. Oktober jeweils um 19 Uhr in der Bühne AmBach in Götzis. Halbszenisches Gastspiel am 19. Oktober in Lustenau.