Kunst als Überlebensmittel

Otobong Nkanga rückt im Kunsthaus Bregenz mit viel Lehm und fantastischen Tapisserien Wesentliches ins Licht.
Bregenz International ausgerichtet und regional verankert, emotional sehr berührend und intellektuell fassbar, diese Faktoren gelten für die neuen Arbeiten von Otobong Nkanga. Dass die aus Nigeria stammende Künstlerin (geb. 1974 in Kano) eigens für das Kunsthaus Bregenz bzw. im Hinblick auf die Ausstellung geschaffen hat, verdeutlicht die inspirierende Funktion dieses Ortes oder eben eine Ausstellungspolitik, die darauf ausgerichtet ist, dass die hier gezeigten Arbeiten nicht einfach nur angekarrt werden, sondern auch zu einem erheblichen Teil hier entstehen. In diesem Fall geschah dies in Zusammenarbeit mit dem Lehmbaupionier Martin Rauch in Schlins.
Wer sich noch an die letzte documenta im Jahr 2017, das heißt, an die nur alle fünf Jahre stattfindende und damit im Fokus stehende Weltkunstschau in Kassel, erinnern kann, verbindet den Rückblick wahrscheinlich auch mit weniger positiven Eindrücken. Augenscheinlich politisch überfrachtet waren die Arbeiten, zu oft hieß es konkret, da schau hin, da läuft etwas schief auf der Welt, ohne dabei auf die Kraft der Kunst zu vertrauen, die das sozusagen subtil erledigt. Zu den Künstlerinnen, die es schafften, aufgrund der Qualität ihrer Arbeiten oder eines realisierten Konzepts im Gedächtnis zu bleiben, zählen die Schweizerin Miriam Cahn und Otobong Nkanga. Werke von Cahn waren vor einiger Zeit in Vorarlberg zu sehen. Im Hinblick auf die Präsenz in Bregenz nahm KUB-Direktor Thomas D. Trummer vor rund zwei Jahren Kontakt zu Nkanga auf.
Soziale Aspekte
Die mittlerweile in Antwerpen lebende Künstlerin befasste sich nicht nur intensiv mit der Architektur des KUB, den übereinander gestapelten, weitgehend identen Räumen, die Möglichkeiten für Installationen eröffnen, die es sonst nirgendwo gibt. Als Künstlerin, die die sozialen Aspekte und Veränderungen im Zusammenleben sowie den Ressourcenverbrauch untersucht, bereiste sie auch das Land und beschäftigte sich mit Lehmbauten. Das heißt, mit einem Material, das Hoffnung und Zerstörung symbolisiert, auch haptisch erfahrbar ist und nach seiner Verwendung für eine Installation, für die 50 Tonnen Aushubmaterial und sechs Tonnen Lehmschlamm aus dem Rheintal und dem Walgau ins KUB gebracht wurden, weiterhin vielfältig genutzt werden kann. Das Material ihrer Arbeiten oder auch die sozialen Bedingungen, unter denen Projekte und Aktionen umgesetzt werden können, sind für Otobong Nkanga von großer Wichtigkeit. Für die erwähnte documenta ließ sie Seife aus natürlichen Rohmaterialien und unter seriösen Produktionsbedingungen herstellen. Der Verkaufserlös der schwarzen Quader, die von theatralisch kostümierten Akteuren überall auf dem Gelände angeboten wurden, kam wiederum Sozialprojekten zugute. Für ihre Arbeit „Veins Aligned“ wurde die Künstlerin bei der letzten Biennale in Venedig mit einem Spezialpreis ausgezeichnet. Eine gut 25 Meter lange, horizontal ausgelegte Skulptur aus mehreren Schichten Glas und Marmor versinnbildlichte das Zusammenwirken von Stoffen oder ein Wissensdepot.
Erde und Wasser
Die Erde, die wir in uns tragen, die Minerale in unserem Blut, kommen am Ende in der Erde zur Ruhe, heißt es in einem Text der Künstlerin. Erde und Wasser sind die Elemente, die in den zwei zentralen Arbeiten im Kunsthaus thematisiert werden. Olafur Eliasson hatte zuletzt vor rund 20 Jahren mit einem Teich dieses Gebäude unter diesen Aspekten definiert, symbolisiert seine gläserne Außenhaut, die der Architekt Peter Zumthor bereits mit dem Nebel am Bodenseeufer in Verbindung brachte, doch das wertvolle Element Wasser.
Neben einer nahezu ausgetrockneten Lacke im Erdgeschoss, deren Farbigkeit vielfältige Assoziationen hervorruft, verbleibt noch ein Baum, dessen Stamm sich in jedem Stock fortsetzt, bis wir oben erkennen, dass seine Spitze, die aus dem lehmigen Boden herausragt, bereits verkohlt ist. Im unteren Teil ist der Baum noch in der Lage, die mit dicken Seilen verbundenen, schützenden Glasobjekte zu halten, die mit Bodenproben und Pflanzen befüllt wurden.
Riesiger Wandteppich
Der zweite Teil der Installation besteht aus einem Wandteppich, der für die einzelnen Stockwerke in vier Stücke mit jeweils einer Breite von sechs und einer Höhe von 3,50 Metern unterteilt wurde, die gemeinsam ein Bild ergeben, auf dem sich Erde, Wasser, Jahreszeiten und Klimazonen verbinden. Das auf einer hochkomplexen Greiferwebmaschine der Firma Dornier gefertigte Werk aus Material mit 140 verschiedenen Farbtönen zeigt eine fantastische, zugleich aber dystopische Szene. Neben der Meeresfauna graben sich Schürfarme in den Boden. Sie gleichen harmlosen Puppenteilen, manchmal auch Prothesen, sie haben etwas Malerisches und Poetisches, fördern an Netzen vorbei Material nach oben, wo allerdings kaum noch Leben vorhanden ist. Nur aus der Farbigkeit der Gebilde lässt sich noch Überlebenskraft erkennen. Es sind Wandarbeiten, in die man versinken möchte, um sie Zentimeter für Zentimeter zu erkunden. Die einzelnen Etagen im KUB haben schon viele Künstlerinnen und Künstler gut bewältigt, nicht immer wollte man sie am liebsten gleich noch einmal abschreiten. Diesmal stellt sich dieser Effekt ein, auch wenn vielleicht nie klar wird, wo Otobong Nkanga Aussagen tätigt und wo sie mit dem Projektionswillen der Betrachter rechnet, die sich mit dem Überlebensmittel Kunst konfrontiert sehen.

Zur Person
Otobong Nkanga
Geboren 1974 in Kano, Nigeria
Ausbildung Obafemi Awolowo University in Nigeria sowie Studium in Paris und Amsterdam
Ausstellungen u. a. Biennale Venedig, documenta Kassel, Gropius Bau Berlin, Museum of Contemporary Art in Antwerpen
Preise Yanghyun-Preis, Belgian Art Prize
Eröffnung im Kunsthaus Bregenz am 22. Oktober, 17 bis 20 Uhr, geöffnet bis 6. Jänner, Di bis So, 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr.