Wenn in der Kirche die Post abgeht

Kultur / 23.10.2021 • 13:00 Uhr
Wenn in der Kirche die Post abgeht
Rudolf Berchtel lässt das kostbare Instrument am Sonntag im Jubiläumskonzert in der Stadtpfarrkirche in neuem klanglichen Glanz erstrahlen.

Der Naturfreund fand 1990 zu seiner großen Leidenschaft als Organist von St. Martin.

DORNBIRN Er ist heuer 60 geworden, seine Orgel bereits 93. Seit genau 30 Jahren sind die beiden fest miteinander verbunden, der Organist Rudolf Berchtel und Vorarlbergs größte Orgel in St. Martin. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten lässt er das kostbare Instrument am Sonntag im Jubiläumskonzert in der Stadtpfarrkirche in neuem klanglichen Glanz erstrahlen.

Die historische Behmann-Orgel von 1927/28 wurde in den Achtzigerjahren vor dem Verfall gerettet und steht seither unter Denkmalschutz. Welche Bedeutung besitzt dieses Instrument aus Ihrer Sicht?

BERCHTEL Mit ihren 72 Registern auf drei Manualen und Pedal und 5430 Pfeifen ist es nicht nur die größte Orgel Vorarlbergs, sondern auch ein Klangdenkmal, eines der bedeutendsten Instrumente aus der Entstehungszeit der symphonischen Orgelkunst, bei der man Orchesterstimmen möglichst originalgetreu auf der Orgel nachzuahmen versuchte. Bereits 1994 habe ich deshalb meine Idee umgesetzt, hier jährlich mit einem international besetzten Festival im Herbst eine Pflegestätte für symphonische Orgelkunst einzurichten. Zu dieser Konzertreihe lade ich Organisten von europäischem Rang ein. Sie führen dabei große, virtuose Kompositionen auf und bringen so die Besonderheiten dieser Orgel zur Wirkung.

Diese Monumentalorgel besitzt sicher auch ein heikles Innenleben?

BERCHTEL Die Orgel ist mit einer damals neuartigen elektro-pneumatischen Traktur ausgestattet, das ist ein sehr kompliziert ineinandergreifendes technisches Gefüge. Bereits 1928 wurde ein Hochdruckwerk mit eigenem Blasbalg im Dachboden installiert, der fünf Register mit sehr viel Winddruck versorgt. Diese sind im Prinzip wie ein zusätzliches starkes Orgelwerk. Wenn man beim Spiel des großen Pleno noch die Hochdruckstimmen dazu gibt, dann geht in der Kirche schon die Post ab! Und nach so langer Tätigkeit bekommt man natürlich auch eine starke Beziehung zur Orgel, kennt ihre Vorzüge und „Macken“ und weiß auch Bescheid über die Spielweise mit besonders gut klingenden Registerkombinationen.

Die letzten Jahre war die Orgel wohl aus Altersgründen ziemlich „krank“, wo hat es gefehlt?

BERCHTEL Die Orgel hat sich trotz ihrer Anfälligkeit für Störungen wie poröse Membrane oder unzählige Meter an elektrischem und pneumatischem Kabelwerk erstaunlich gut erhalten. Die größte Sorge war mir immer, dass Lederbälgchen platzen und so zu „Heulern“ führen. Besorgniserregend war auch die starke Zunahme von Schimmel an den Holzpfeifen und die Tätigkeit des Holzwurms, sodass nun eine Renovierung notwendig war. Diese wurde von November 2020 bis April 2021 von der Firma Kuhn Männedorf/CH durchgeführt, Kostenpunkt inklusive der neuen Bemalung durch die Firma FetzColor/Alberschwende ca. 300.000 Euro, die durch die öffentliche Hand, Sponsoren und Spenden abgedeckt wurden.   

30 Jahre Organist in St. Martin – das heißt doch auch Knochenarbeit in unzähligen Gottesdiensten, oft am Sonntag früh, im Winter in der eiskalten Kirche, wenn andere noch schlafen. Hat Sie da nie der Mut verlassen?

BERCHTEL  Ja, die Frühmessen liebe ich nicht so sehr – ich bin nicht so der Frühaufsteher-Typ. Aber der sonntägliche Gang zur Messe ist mir wichtig und gibt eine gute Struktur in den Jahresablauf. Besonders das Mitfeiern und festliche Mitgestalten des Kirchenjahres mit seinen wunderbaren Festen ist eine erfüllende und schöne Aufgabe – besonders wenn es dann auch dem „Kirchenvolk“ gefällt.

Wann sind Sie eigentlich zum ersten Mal auf einer Orgelbank gesessen?

BERCHTEL Ich bin in Bezau aufgewachsen und habe meine ersten Orgelerfahrungen dort auf einem alten Instrument von 1910 gemacht, das von Josef Behmanns Vater Anton erbaut wurde. Der Klang, die verzögerte Spieltechnik haben mich geprägt. Da war dann die gewaltige Orgel von St. Martin einfach Bezau hoch drei für mich. Ich war auf Anhieb von ihr begeistert, habe aber bis heute großen Respekt vor diesem Instrument.

1990 wurden Sie als Organist und Chorleiter an die Stadtpfarrkirche St. Martin berufen. Haben Sie diesen entscheidenden Schritt je bereut?

BERCHTEL Nein. Es hat so sein sollen, dass ich mit dieser Tätigkeit meine „Lebensstelle“ gefunden habe. Ich kann hier einen großen und leistungsstarken Kirchenchor leiten und habe auch mit den Orgeln in St. Martin tolle Instrumente zur musikalischen Entfaltung. Im Chorraum steht eine zweite, kleinere Orgel und in der Kapelle wurde heuer eine Truhenorgel neu aufgestellt.

Neben der Orgel sind Sie als Wanderwegeplaner auch ein großer Naturfreund. Ihre Dissertation über die Bregenzerwälder Alpwirtschaft avancierte 1990 zu einem unerwarteten Verkaufserfolg, auch gibt es von Ihnen ein „Wanderbuch Bregenzerwald“ – ist das ein natürlicher Ausgleich?

BERCHTEL Ja, das mache ich gerne. Da komme ich weg vom Klavierlehrerstuhl oder von der Orgelbank. Es ist auch geistig ein Ausgleich zur Musik und ganz nebenbei sorgt diese Tätigkeit für die nötige gesundhaltende Bewegung.

Was die wenigsten wissen: Der Kirchenmusiker Rudolf Berchtel bewirtschaftet gemeinsam mit Freunden sogar einen kleinen Weinberg in Dornbirn. Sind Sie da Selbstversorger?

BERCHTEL Ja, wir bauen zwei pilzresistente Sorten an, Solaris – weiß – und Leon Millot – rot –, und produzieren damit seit Jahren einen Bio-Bergwein zum Eigengebrauch, der sich inzwischen durchaus sehen lassen kann! FRITZ JURMANN

Jubiläumskonzert: 24. Oktober, 17.00 Uhr – Rudolf Berchtel an der historischen Behmann-Orgel in Dornbirn St. Martin