Freiheit, die sie meinen
Es war am vergangenen Dienstag, dem Nationalfeiertag.
Es war wunderbares Wetter, ich machte eine Runde durch Bregenz und wollte über die Oberstadt an den Bodensee. Bereits am Stadtsteig, unter den letzten Häusern der alten Stadt, hörte ich Trillerpfeifen und Trommeln in heftigem Wirbeln, dazu nicht zuordenbare Musik, ohne Konzept, dafür lautstark. Ich meinte, da hat jemand den Staatsfeiertag mit dem Faschingssonntag verwechselt. Und so schien es mir auch, als ich – bei immer stärker werdendem Lärm – den Kornmarkt erreichte. Eine große Ansammlung, sicher weit über tausend Menschen, nahmen den Platz in Beschlag, nahmen auch die Möglichkeit, sich in den angrenzenden Cafés niederzulassen. Sie brüllten, pfiffen und machten ganz einfach Krawall, und zwar so laut, dass man auch ihre Rednerinnen und Redner nicht mehr verstehen konnte. Es ging zu wie im Irrenhaus, und es brauchte auch eine Weile, bis man zwischen den Fahnenschwingenden erkennen konnte, wofür die Leute denn eintraten. Einige Plakate enthüllten: Hier waren Covid-Leugner versammelt.
Ich gebe zu: Das steigerte nicht gerade meine Sympathie für die Menschen, die sich nun in Bewegung setzten und in einer Runde durch die Stadt ihren Demonstrationszug fortsetzten. Ich blieb stehen, wollte sehen, wer sich diesem Treiben alles anschloss. Und natürlich sah ich manch bekannte Gesichter, Menschen, die man in der Stadt kennt, darunter auch Freunde aus früherer Zeit, auch solche, mit denen man früher in der Kultur vereint war. Ich wunderte mich – allerdings nicht darüber, dass sich diesem Zug natürlich auch bekannte Herren der Szene von ganz Rechtsaußen anschlossen. Das schien die Impfgegner nicht wirklich zu stören. Hauptsache sie waren viele. Und sie plakatierten „Friede, Freiheit“. Welcher Friede? Welche Freiheit meinen sie? Nur die, die sie sich nehmen!
„Sich nicht impfen zu lassen ist purer Egoismus. Denn ich trage Verantwortung nicht nur für mich, sondern auch anderen gegenüber.“
So manches verstehe ich nicht: Wie kann jemand die Gefährlichkeit der Pandemie leugnen, da täglich in den Intensivstationen der Spitäler Menschen genau daran sterben. Ich muss kein Wissenschaftler sein, um das zu überprüfen, ich muss nur in ein Krankenhaus gehen und mir die Stationen ansehen. Oder in meine Umgebung schauen, wo schon einige alte Freunde an Covid gestorben sind. Sich nicht impfen zu lassen, ist purer Egoismus. Denn ich trage Verantwortung nicht nur für mich, sondern auch anderen gegenüber. Und so endet meine Freiheit – wie in vielen anderen Fällen – auch bei der Pandemie dort, wo ich andere zu gefährden beginne. Und deshalb müsste eine verantwortungsvolle Politik sogar eine Impfpflicht einführen. Nicht nur für bestimmte Gruppen, sondern für alle, auch die Uneinsichtigen.
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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