Der Chronist der Epochen blickt in die 1930er-Jahre

Kultur / 10.12.2021 • 17:49 Uhr
Liebe in Zeiten des HassesFlorian IlliesFischer430 Seiten

Liebe in Zeiten des Hasses

Florian Illies

Fischer

430 Seiten

In die Vergangenheit zu schauen und die Welt neu zu entdecken ist eine seltene Gabe. Florian Illies ist beseelt davon.

Romane Florian Illies versuchte sich zu Beginn der Jahrtausendwende als Popautor. Sein Durchbruch kam jedoch mit dem Buch „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“, nun ist „Liebe in Zeiten des Hasses“ an der Reihe, im Blickfeld die 1930er-Jahre. Hier kann der promovierte Historiker und Antiquar sein Können ausspielen: Ereignisse zu verknüpfen, die nicht wirklich ganz zueinander gehören, aber doch in Wechselwirkung stehen. Verfeinert mit einer gewissen gedanklichen und literarischen Freiheit kluge Fragen zu stellen, persönliche Gedanken einzuarbeiten und so das Fluidum einer Zeit neu entstehen zu lassen. Das alles vermengt mit einem großem Fachwissen, einer gewissen Ironie und einem zeitgemäßen Popverständnis. Ganz schön frech, aber es funktioniert, vor allem bei einem jungen Publikum, so auch nachzulesen in seinem neuesten Werk mit dem nicht unwesentlichen Untertitel „Chronik eines Gefühls, 1929-1939“.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, da hat sich einer aber etwas auferlegt: Allein das Thema Liebe füllt bekanntlich schon Bände und dies noch gepaart mit einer historischen Timeline. Aber gerade das macht es hier wieder aus: Illies nimmt die Timeline als roten Faden und klappert so das Jahrzehnt ab. Dazu noch sehr frisch geschrieben, wirft er einen Blick auf das ausschweifende Leben einer Generation, von den Manns angefangen bis hin zum verzweifelten Ehepaar Fitzgerald. Man spürt regelrecht, wie sich eine junge Generation der Folgen des 1. Weltkrieg entledigen will, sowie den noch immer einen Schatten werfenden Dogmen des 19. Jahrhunderts. Dazu die permanenten Katastrophen, die Weltwirtschaft, die sich aufheizt und im Börsencrash 1929 ihr jähes Ende findet und schlussendlich die weltweite Zuspitzung der nationalen Ideologien, die im Nazi-Regime wohl ihren grausamsten und unmenschlichsten Höhepunkt fanden. Florian Illies begleitet hier Stars und von der Bildfläche verschwundene Persönlichkeiten. Es macht Spaß, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir nochmals über die Schultern zu blicken, auch die Fehlbarkeit eines jungen Adenauers, der fast vor der Pleite stand oder die ersten Gehversucher Billy Wilders, der mit geschenktem Filmmaterial der UFA in Berlin filmte. Dazu der fortwährend rotierende Henry Miller und das ausschweifende Nachtleben einer Marlene Dietrich. Aber gerade oft vergessene Helden setzen Akzente, die Fotografin Lee Miller zum Beispiel, oder die mutige Gunta Stölzl, die sich durch die Männerriege des Künstler- und Architektenkollektivs Bauhaus hindurchwindete. Und natürlich immer wieder Bahnbrechendes: Zum Beispiel die Emanzipation der Frau in der Gesellschaft und als Künstlerin.

Intelligentes im Kleinformat

Auch dem Geburtstag der Brüder Mann ist ein Kapitel gewidmet, aber sehr reduziert. Staubtrocken, das ist wahrscheinlich die richtige Charakterisierung von Otto Jägersbergs Kurzgeschichten, Notizen und Aphorismensamlung, in seinem neuen Buch mit dem einladenden Titel: „Pianobar“. Jägersberg lebt in Baden-Baden, seine Texte spiegeln auch diesen Großraum, bis hinein in die Schweiz, wider. Ob es um absurde Gesetze geht, um kluge, schnell aufgeschnappte Sachverhalte oder eben Zitate, es macht Spaß, Texte des Autors zu lesen, der so fernab der Moden schreibt. Dabei tun sich ebenso Abgründe auf, wenn er Tatbestände skizziert, die in einem anderen Medium durchaus in aufgepeppte Gräuelgeschichten münden würden. Jägersberg hat das nicht nötig, seine Geschichten lassen Platz zum Reflektieren.

PianobarOtto JägersbergDiogenes263 Seiten

Pianobar

Otto Jägersberg

Diogenes

263 Seiten