Historiker Meinrad Pichler: “Mehr Dynamik wäre schön”

Meinrad Pichler spricht über neue Projekte und die jüngere Historikergeneration.
Schwarzach Kaspar Winkler war ein ganz armer Maurer, er lebte in Thüringen und wanderte deshalb in die Schweiz aus. Aufgrund seiner Wissbegier und seines Forschungsdrangs wurde er dort zum Gründer einer großen Firma. Sein Thema war der Trockenbeton bzw. ein schnell bindender Beton und die Firma heißt Sika. Es sind die Taten solcher Menschen, denen der mittlerweile als Gymnasiallehrer und -direktor pensionierte Vorarlberger Historiker Meinrad Pichler nachgeht.
Oft waren kaum Quellen vorhanden und dennoch gelang es Pichler, ein eindrückliches Bild zu erstellen. Die Biografien zahlreicher Persönlichkeiten wurden in den letzten Jahren in den VN veröffentlicht, im Herbst dieses Jahres ist das Buch „Spurensuche“ mit den gesammelten Beiträgen erschienen, in denen Menschen zu begegnen ist, deren Wirken in der Geschichtsschreibung mitunter kaum, nicht in entsprechender Ausführung oder gar nicht Erwähnung fand. So stellt sich die Frage, ob Pichler, der im Rahmen seiner Tätigkeit als Historiker viel publiziert hat, an eine Fortsetzung denkt, etwa mit Menschen, deren Biografie weiter ins 20. Jahrhundert reicht. „Ich bin immer am Arbeiten“, sagt er, „ich kann mir verschiedene Projekte unter einem neuen Titel vorstellen, Projekte über besondere Menschen, die in irgendeiner Hinsicht Pioniere sind.“
Noch viel mehr Frauen
Als solcher ist der erwähnte Kaspar Winkler zu bezeichnen. Nachdem er im ersten Buch auch das Schicksal einiger Frauen, etwa der Pädagogin und Wirtin Maria Schmid aus Rankweil, ins Licht rückte, stellt sich die Frage, ob es nicht noch weitere Frauen gab, die aus dem Rollenmuster der Unterwürfigkeit ausgebrochen sind. “Keine Frage”, meint Pichler, Quellen gäbe es aber nur, wenn diese beispielsweise aktenkundig geworden sind, wenn sie sich etwa mit den Behörden angelegt hatten. Dabei erwähnt er auch einen Artikel im Vorarlberger Volksblatt, der symptomatisch ist für die Sichtweise früherer Generationen, die Frauen gerne nur als verwandtschaftliches Bindeglied zwischen bedeutsamen Männern wahrgenommen hatten. Ein Redakteur berichtete vom Tod einer Frau, die Mutter, Schwester, Tante und Nichte von jeweils einem Priester war. Den Namen der Frau zu erwähnen, hielt der Verfasser allerdings für unnötig. Es handelte sich um Theresia Dobler, geb. Lisch, die neun Kinder zur Welt brachte und in Satteins einen Bauernhof bewirtschaftete.

„Ich lege mich nicht fest, aber es gibt noch etliche interessante Menschen in meiner Kartei.“
Meinrad Pichler, Historiker
Vor ein paar Jahren hat Meinrad Pichler im Gespräch mit den VN bedauert, dass die Frauen in der Politik noch in der Minderzahl sind, obwohl hervorragend qualifizierte Frauen in Berufe im Bildungsbereich und im Gerichtswesen drängen. “Ich sehe, dass das Engagement zunimmt”, sagt er heute erfreut: “Es gibt immer mehr kompetente junge Frauen, es wird sich nicht aufhalten lassen.”
Forschungslücken
Was die Geschichte des Landes betrifft, sieht Meinrad Pichler mittlerweile keine großen Forschungslücken, aber etwas zu wenig Berücksichtigung finden seiner Ansicht nach jene Menschen, die ins Land gekommen sind und hier den Wohlstand mitgeschaffen haben. In den 1950er- und 1960er-Jahren seien es die Kärntner und Steirer gewesen, später dann die Arbeitsmigranten aus dem Balkanraum und der Türkei. Im Vorarlberg Museum arbeite man aber daran, diesen Aspekten der Landesgeschichte mehr Raum zu verschaffen.
Industriemuseum
Dennoch erachtet der Historiker die Errichtung eines Industriemuseum für enorm wichtig. “In einem Land, in dem die Industrialisierung eine derart wichtige Rolle spielt, in dem man stolz darauf ist, dass man eine produzierende Wirtschaft hat, ist es wichtig, einen Ort zu haben, in dem diese Geschichte dokumentiert und erforscht wird.” Im Stadtarchiv Dornbirn habe Werner Matt entscheidende Vorarbeiten geleistet und Fachleute um sich geschart. Die Stadt Dornbirn mit ihrer Industriegeschichte wäre, so Pichler, auch der geeignete Standort einer solchen Einrichtung.
“Mehr Dynamik wäre schön”, hält Meinrad Pichler dennoch grundsätzlich fest. Er denkt dabei an die jüngere Historikergenerationen, die zwar publiziert, die aber deutlicher in Erscheinung treten könnte. “Jede Generation sollte sich die eigene Geschichte zu eigen machen und daraus lernen. Oder ein eigenes Fundament für sich finden und begründen.”
Lesetipp: “Spurensuche. Historische Biografien aus Vorarlberg” von Meinrad Pichler, herausgegeben von den Vorarlberger Nachrichten, Verlag Russmedia GmbH.