Junge Autoren zwischen Tradition und Wut

Kultur / 21.01.2022 • 16:46 Uhr
Die Topeka SchuleBen LernerSuhrkamp395 Seiten

Die Topeka Schule

Ben Lerner

Suhrkamp

395 Seiten

Ein Land als Ganzes zu erfassen, ist eine kleine Meisterleistung, Ben Lerner ging auf Tuchfühlung mit seiner Heimat.

romane Ein stilgerechter amerikanischer Roman beginnt mit Baseball, und wenn nicht, dann kommt er in den ersten hundert Seiten darauf zu reden, von Paul Auster bis zu Don DeLillo können Bände darüber gefüllt werden. Am besten detailreich, so als ob man bei den Yankees im Stadion sitzt oder zumindest die Übertragung live am Stream miterlebt. Klar ist das jetzt übertrieben, aber so funktioniert die literarische Nabelschau in den Vereinigten Staaten nun einmal. Ben Lerner, einer der Hoffnungsträger der US-Literatur, spielt die Nabelschau über den Wettkampf des Debattierens in der Topeka High-School in Kansas, also im mittleren Westen der USA. Zum Veredeln der Situation taucht im Finale des Wettbewerbs der damals im Wahlkampf gegen Bill Clinton gewesene Senator Bob Dole auf, um den Gewinnern zu gratulieren.

„Die Topeka Schule“ heißt auch der aktuelle Roman Ben Lerners. Hauptcharakter und der König des Debattierens ist Adam Gordon, der gerade die letzte Klasse in der Topeka absolviert und sich auf dem Absprung zu einer Elite-Uni befindet. Sein Vater ist Therapeut, seine Mutter, feministische Bestsellerautorin, die klassische amerikanische Bildungsfamilie sind wesentliche Stützen des Romans.

Die Innenansicht Amerikas

Der Roman teilt sich in unterschiedliche Abschnitte, in denen mit reflektierenden und literarischen Monologen und unterschiedlichen Erzählelementen, die Familienstruktur beleuchtet wird, zugleich werfen die Protagonisten immer wieder einen analytischen Blick auf Amerika. Der Roman erstreckt sich über Adams Jugend in den 1990er-Jahren und der Jugend seiner Eltern in den 1960er- und 1970er-Jahren, über die Zeit der Frauenbewegung, der Hippies, dem sehr oft angesprochenem Patriachat und das Scheitern hehrer Ziele. Dazu inszeniert der Autor ein Sprach- und Geschichtengeflecht, als würde man sich im Manhattan Transfer eines John Dos Passos befinden. Ermöglicht auch dadurch, dass Adam seit Kindheit an einer Persönlichkeitsstörung leidet: Er beobachtet sich innerhalb und außerhalb seines Lebens und das nicht im Traum, sondern in der Realität.

Man erfährt dieses engmaschige Konzept aller Charaktere, die zugleich das Produkt ihrer Zeit sind. Eine Zigarette mit Bob Dylan, eine Freundschaft mit Einstein, da hat viel Platz. Dazu webt der Autor Geschichten ein und spielt sich dabei mit Sprache und Inhalt, der dann, nicht ohne Zynismus, wieder in eine amerikanische Traditionen mündet: Wenn die Mutter Adams zu einer Therapeutin geht, die selbst zu einem Therapeuten geht, der wiederum der beste Freund von Adams Vater ist, und so über drei Ecken Geschichten über seine Frau erzählt bekommt, dann ist man beinahe im New York eines Woody Allen.

Wilde Worte

Auch jung, aber von einer ganz anderen Seite kommt Goran Vojnovic mit seinem aufrüttelnden Roman „Tschefuren raus!“ Mit dem Tschefuren ist in Slowenien eine Herabwürdigung für Minderheiten gemeint. Marko ist Bosnier und in Slowenien ohne Wurzeln und wächst in einer Satellitenstadt um Laibach auf. Seine einzige Chance, der sozialen Bredouille zu entkommen, ist, Basketballspieler zu werden. Man spürt die Kraft des authentischen Drehbuchs hinter dem Roman. Ein Tipp sei hier erlaubt: Die ersten 60 Seiten am Stück überspringen, hier wird einfach zu viel substanzlos geflucht, danach entwickelt sich der Roman zu einer kraftvollen Geschichte.

Tschefuren raus!Goran VojnovicFolio Verlag269 Seiten

Tschefuren raus!

Goran Vojnovic

Folio Verlag

269 Seiten