Nichts weniger als Geburt und Tod

Kultur / 13.02.2022 • 18:43 Uhr
Markus Butter in der Rolle des Johannes.
Markus Butter in der Rolle des Johannes.

Umjubelte österreichische Erstaufführung der Oper „Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas.

Graz, Bregenz Demnächst folgt mit „Liebesgesang“ eine Uraufführung in Bern und die Bayerische Staatsoper hat im Mai mehrere Projekte mit Georg Friedrich Haas auf dem Spielplan. Dem vielfach ausgezeichneten, mittlerweile in New York lehrenden, 1953 in Graz geborenen und in Vorarlberg aufgewachsenen Komponisten, der hier mit den Uraufführungen der ersten Opern bei den Bregenzer Festspielen und als Leiter der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik sehr präsent war und dies zumindest in den Konzertprogrammen von Orchestern und Ensembles bleibt, ist in der Region wieder öfter zu begegnen. An der Grazer Oper endete die österreichische Erstaufführung des 2015 in London präsentierten Werks „Morgen und Abend“ nun mit sehr viel Applaus. Nachdem der Komponist mehrere Opern mit dem österreichischen Schriftsteller Händl Klaus schuf, resultiert „Morgen und Abend“ aus einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Norweger Jon Fosse, der bereits das Libretto zum in Paris uraufgeführten Werk „Melancholia“ verfasste.

Einzigartig

Bezieht sich diese Oper auf das Gefühl der Ausgeschlossenheit, erzählt sie von den Erfahrungen eines Malers, so thematisiert „Morgen und Abend“ nichts weniger als Geburt und Tod und somit zentrale Aspekte des Menschseins bzw. Übergangsphasen, die als Auseinandersetzung mit dem Metaphysischen in die Kunst gefunden haben. Bei Georg Friedrich Haas und Jon Fosse wird das Geborenwerden und Sterben zum erfahrbaren Geschehen. Es ist nicht die männliche Perspektive, sondern die des Ausgeliefertseins, wenn der Fischer Olai die Geburt seines Sohnes Johannes in einem Nebenzimmer erwartet. Cornelius Obonya findet für diesen Sprechpart eine einfache Klanglinie, die sich mit der emotionalen, auch brachialen Komponente, die der Musik obliegt, fein verschränkt. Wie eine zusätzliche Sphäre legt sich der luzide Vokalklang des Chores über die Klangräume, in die das mit viel Schlagzeug und Streichern versehene Orchester führt. Die Haas’sche Nutzung der Mikrointervallik taucht hier nur noch selten, aber dramaturgisch gut überlegt auf, der Fokus richtet sich auf eine äußerst komplexe Cluster- und Akkordbehandlung, die mit den menschlichen Stimmen einen spannenden Erzählstrang fern von melancholischen Effekten ergibt, den Roland Kluttig mit den Grazer Philharmonikern präzise darlegt.

Das Leben des Johannes, der ebenfalls den archaischen Beruf des Fischers ausübte, zieht rückblickend vorbei, fast schemenhaft tauchen Bilder aus der Kindheit, ein Freund, die Tochter oder die Ehefrau beim Bett des Sterbenden auf. Dass und wie uns Georg Friedrich Haas an dessen Empfindungen teilhaben lässt, verleiht diesem Werk – auch ergänzend zu seiner Oper „Koma“ – Einzigartigkeit.

Starke Nachwirkung

Einen kulturhistorischen Kontext über ein Schlussbild mit einem rudernden Menschen herzustellen, ist ein Inszenierungsmoment, der der starken Nachwirkung dieser Produktion dient. Ansonsten bezieht sie sich auf die Bilder, die die Musik und die Stimmen der hervorragenden Besetzung mit Markus Butter als Johannes, Cathrin Lange als Signe und Hebamme, Christina Baader als Erna und Matthias Koziorowski als Peter erzeugen. Regisseur Immo Karaman und die Ausstatter Rifail Ajdarpasic und Fabian Posca (Bühne und Kostüme) verlegen das Werk in eine Art Schiffsrumpf, in dem das Wasser eine hügelige Steinlandschaft geformt hat. Das Einheitsgrau spiegelt sich auch im herabschwebenden Mobiliar. Das ist zwar nachvollziehbar, aber inklusive der erschwerten Bewegungsmöglichkeiten der Protagonisten im Grunde ein oft gesehenes Setting. Dabei führt „Morgen und Abend“ auf einen im Operngenre in dieser Konsequenz selten beschrittenen Weg – von der hohen Qualität gar nicht zu sprechen.

Cornelius Obonya in der österreichischen Erstaufführung von „Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas. Oper/Kmetitsch, JU
Cornelius Obonya in der österreichischen Erstaufführung von „Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas. Oper/Kmetitsch, JU
Komponist Georg Friedrich Haas.
Komponist Georg Friedrich Haas.

Weitere Aufführungen von „Morgen und Abend“ an der Oper Graz ab 17. Februar. Dauer: 90 Minuten.