„Ich bin in die Angst hineingeboren“

Kultur / 15.02.2022 • 20:41 Uhr
Olga Kulchynska und Evelyn Herlitzius in „Dialogues des Carmélites“. Prammer
Olga Kulchynska und Evelyn Herlitzius in „Dialogues des Carmélites“. Prammer

Francis Poulencs „Dialogues des Carmélites“ leuchten in Abgründe.

Zürich Angst haben wir alle. Vielleicht, weil eine Matheklausur ansteht oder ein Zahnarzttermin geplant ist. Wobei der Philosoph Sören Kierkegaard für diese Beispiele den Begriff „Furcht“ verwendet hätte. Von existenziellen Ängsten handelt die 1957 uraufgeführte Oper „Dialogues des Carmélites“ des Franzosen Francis Poulenc, die jetzt in Zürich in einer überaus bewegenden Neuproduktion zur Diskussion gestellt wird. Verarbeitet ist in dem Werk die historisch belegte Tatsache, dass im Juli 1794, in den letzten Tagen der jakobinischen Schreckensherrschaft, in Paris sechzehn Nonnen des Karmeliterordens von Compiègne hingerichtet wurden, weil sie an ihrem Glauben festhalten wollten. Hinzuerfunden und ins Zentrum gestellt ist die Figur der Blanche de la Force, die unter Angstanfällen leidet und hofft, diese unter den strengen Regeln des Klosterlebens loszuwerden. Blanche entstammt bereits Gertrud von le Forts Novelle „Die Letzte am Schafott“ (1931), welche die Vorlage bildete für ein Filmskript von Georges Bernanos und ein aus diesem abgeleitetes Theaterstück, das Poulenc selbst zum Textbuch seiner Oper weiterverarbeitete.

Sorgfältige Inszenierung

„Ich bin in die Angst hineingeboren worden“, bekennt Olga Kulchynskas Blanche im drittletzten der zwölf Bilder. Die ukrainische Sopranistin singt in ihrem Rollendebüt mit einer wunderschönen Wärme und hat zuvor schon Gucklöcher geöffnet auf eine hyperverletzliche Seele, die beim geringsten Anlass in Panik gerät. Am Ende dann aber, als es ans Sterben geht unter der Guillotine, die Poulenc in unregelmäßigen Abständen mit einem grausigen metallischen Geräusch niedersausen lässt, schaut uns diese Blanche gefasst entgegen. Die Regisseurin Jetske Mijnssen zeigt uns das Mordinstrument klugerweise nicht, sondern lässt die Verurteilten nacheinander ihren auf die Gefängniswand geschriebenen Namen durchwischen und ruhig dem Märtyrertod entgegenschreiten. Es ist das eindringliche Schlusskapitel in einer sehr sorgfältigen Inszenierung, die die filmschnittartige Beschaffenheit des Stückes respektiert und nie nach Effekten giert, sondern unter anderem von einer subtilen Personenführung durchwoben ist. Die Idee, die Geschichte, für die Ben Baur (Bühnenbild) und Gideon Davey (Kostüme) eine konventionell stimmungsvolle Ausstattung liefern, als Flashback von Blanche vor ihrem Tod auszugeben, erweist sich hingegen als verzichtbar – und schwierig, überhaupt erkannt zu werden.

Von le Fort, Bernanos und Poulenc waren Katholiken, die der Kraft des Glaubens sehr viel zugetraut haben. Die Wandlung der ängstlichen Blanche ist hieraus erklärbar. Poulenc schildert im ersten Akt aber mit einer erschütternden Wucht auch den qualvollen Todeskampf der erkrankten Klosterpriorin, zeigt ihre höllische Angst und spart ihren Hader mit Gott nicht aus. Das wird unvergessen bleiben in Evelyn Herlitzius‘ schonungsloser Hingabe an die Rolle. Auch die weiteren Singdarstellerinnen und -darsteller und der von Janko Kastelic einstudierte Chor überzeugen.

Tito Ceccherini führt die Philharmonia Zürich kraftvoll durch eine Partitur, die, vielleicht gerade weil Poulenc keinen zeittypischen Avantgardismen hinterhergehechelt ist, mit ihren wirkungssicher, farbenfrisch und nuancenreich eingesetzten Mitteln kühn und direkt zu uns spricht.

Weitere Vorstellungen (gegen drei Stunden): 17. Februar bis 5. März: www.opernhaus.ch