„Die Leute können nicht mehr zuhören“

Die engagierte Künstlerin hat eine ergreifende Familiengeschichte geschrieben.
Feldkirch, Egg „Es geht heute weniger um eine Mission als vielmehr nur noch um Unterhaltung. Die Leute können nicht mehr zuhören, das Bildungsbürgertum ist aus der Mode gekommen“, stellt die Schauspielerin, Kabarettistin und Schriftstellerin Dolores Schmidinger fest.
In der Schauspielschule hat man Ihnen ein komisches Talent attestiert, was „damals selten vorkam“, wie Sie selbst anmerken. Haben denn lustige Frauen nicht dem erwünschten weiblichen Rollenbild der Zeit entsprochen? Hat sich das heute geändert?
Schmidinger Frauen sollten gar nicht lustig sein, Humor ist männlich besetzt. Humor bedeutet nämlich Macht, erzeugt eine Art Unverwundbarkeit. Es war nicht gewollt, dass Frauen diese Macht ausüben. Die bekannte Weltliteratur wurde hauptsächlich von Männern geschrieben, die die weiblichen Rollen entweder auf die Verkörperung großer Emotionen oder auf Nebenrollen festgelegt haben. Heute gibt es eine Reihe toller Frauen in diesem Beruf, aber leider noch viel zu wenig. Frauen haben noch immer nicht gelernt – wenn ich mir Politikerinnen anschauen–, auch einmal auf den Tisch zu hauen.
Sie haben eine steile Karriere als Künstlerin vollzogen. Schon mit 18 Jahren hat Sie Gerhard Bronner engagiert, und ein Jahr später waren Sie bereits Mitglied im Volkstheater.
Schmidinger Ich habe in vielen Stücken gespielt, auch kleinere Rollen. Die Highlights waren sicherlich die Rolle der Polly in der Dreigroschenoper, vor allem aber die Uraufführung von Peter Turrinis „Rozznjogd“. Tragische oder gar romantische Figuren waren nicht dabei, da fühle ich mich auch nicht so zuhause.
Sie sind auch als sehr innovative Kabarettistin, die sich wichtiger gesellschaftspolitischer Themen annimmt, bekannt. Denken Sie, dass ernste Themen satirisch verpackt vom Publikum eher angenommen werden?
Schmidinger Bestimmt. Ich habe einmal mit Michael Haneke über dieses Thema gesprochen, er war damals noch nicht so berühmt. Er war mit seiner Haltung, knallhart Missstände zu präsentieren, auch sehr einsam, denn viele Menschen wollen sich seine Filme gar nicht anschauen. Wenn es aber verspricht lustig zu werden, nimmt das Publikum auch schwierige Themen an. Meine Inhalte waren auch hart, aber ich hatte noch eine Vision. Stand-up-Comedy ist jedoch nichts mehr für mich. Heute lachen die Menschen nur noch über Sachen, die sie nachvollziehen können. Es fehlt die Bereitschaft, sich mit neuen Ansichten und Perspektiven auseinanderzusetzen.
Für ihr berühmtes sozialkritisches Kabarett „Die nackte Matrone“ haben Sie den „Salzburger Stier“ bekommen. Obwohl, oder gerade weil Sie so tabuisierte Themen wie Kindermissbrauch aufgegriffen haben?
Schmidinger Der Erfolg der „nackten Matrone“ hat aber auch dem damaligen Zeitgeist entsprochen. In den 1990er-Jahren war die Auseinandersetzung mit Tabus erwünscht. Jetzt sind alle Tabus gefallen. Ich habe später in einem Programm auch Aids und Obdachlosigkeit thematisiert, aber mit schwindendem Erfolg. Es geht heute weniger um eine Mission als vielmehr nur noch um Unterhaltung. Die Leute können nicht mehr zuhören, das Bildungsbürgertum ist aus der Mode gekommen.
Sie haben nicht nur das Kabarett als Medium für Gesellschaftspolitisches benutzt, sondern haben auch Bücher, Bestseller verfasst – über Bulimie, Ihre Liebhaber usw. Welchen Stellenwert hat die Literatur in ihrem künstlerischen Schaffen?
Schmidinger Ich habe immer schon geschrieben, früher zum Beispiel mit großem Erfolg Liedertexte. Das ist vielleicht meine einseitige große Begabung, die sich auf das Theater und den Umgang mit Sprache bezieht. Und ich schreibe sehr gerne, aber Bücher schreiben bringt leider nicht viel Geld ein.
Sie kommen nun nach Vorarlberg, nach Egg und Feldkirch, und präsentieren ihr neues Buch „Hannerl und ihr zu klein geratener Prinz“. Es geht darin um eine Familiengeschichte, anhand derer Sie Zeitgeschichte ab 1938 beschreiben und tolle Porträts von Menschen schaffen. Wie liefen die Recherchen?
Schmidinger Die Recherche hat mir große Freude bereitet, weil ich mich dafür mit vielen gescheiten Leuten getroffen habe. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands war zum Beispiel eine gute Quelle, ich habe aber auch übers Internet gesucht und Zeitzeugen befragt. Außerdem habe ich mich natürlich auch mit Aufzeichnungen meiner Großmutter und Briefen meiner Eltern beschäftigt. Meine Großmutter war Pflegerin „Am Steinhof“ auf der Baumgartner Höhe, einer Heil- und Pflegeanstalt während des Ersten Weltkriegs. Von der Front kamen völlige kaputte Typen, die nur noch gezittert haben. Und psychische Probleme waren damals längst nicht so „gesellschaftsfähig“ wie heute.
Hanna ist Johanna Deweis, Sozialistin, und Josef Schmidinger ist der zu klein geratene Prinz, ein erzkonservativer Katholik. Die beiden sind Ihre Eltern. Wäre es heute noch denkbar, dass zwei Menschen aus so verschiedenen Welten zusammenkommen?
Schmidinger Die Menschen haben damals nicht miteinander gesprochen. Meine Eltern haben sich nicht über ihre Probleme ausgetauscht. Das war ein Tabu. Johanna konnte daher nicht erahnen, geschweige denn von den Abgründen wissen, die ihr Mann erlebt und verinnerlicht hat. Die damals in christlich-sozialen Kleinbürgerfamilien vorherrschende schwarze Pädagogik hat die Menschen zerstört. sab
Lesung von Dolores Schmidinger, in der Bücherei Egg, 3. März, 19 Uhr; Theater am Saumarkt in Feldkirch, 4. März, 19.30 Uhr.