“Bildung ist nur noch ein Sonntagsredenthema”

Kultur / 04.03.2022 • 20:44 Uhr
Der Kunsthistoriker und Publizist Tom Holert ist Kurator der Ausstellung „Bildungsschock“, die vom VAI adaptiert wurde. VN/Hartinger
Der Kunsthistoriker und Publizist Tom Holert ist Kurator der Ausstellung „Bildungsschock“, die vom VAI adaptiert wurde. VN/Hartinger

Das Vorarlberger Architekturinstitut thematisiert die räumlichen Bedingungen des Lernens und weist auf Problemfelder hin.

Dornbirn Architektur ist immer auch unter politischen Aspekten zu betrachten. Wie sehr räumliche Bedingungen unser Leben betreffen, thematisiert das Vorarlberger Architekturinstitut (VAI) mit der ab heute geöffneten zentralen Ausstellung des Jahres. Während der Titel „Bildungsschock“ fast abenteuerlich bzw. etwas nostalgisch wirkt, ist die Tatsache, dass die Pandemie gerade enorme Missstände ins Blickfeld gerückt hat, mehr als ernüchternd. Die Titelgebung weist in die 1960er- und 1970er-Jahre, in denen man Anstrengungen unternahm, um jene Fortschrittslücken zu schließen, die man erkannte, nachdem es der Sowjetunion gelang, den ersten Sputnik in die Erdumlaufbahn zu schicken. Regierungen reagierten darauf mit Beschlüssen, mehr in Bildung und Forschung zu investieren. Gleichzeitig wurde der Ruf nach mehr Demokratisierung laut.

Neue Konzepte

Im planerischen Bereich hat das etwa die Frage ausgelöst, ob ein junger Mensch nach Jahren mit Frontalunterricht überhaupt zu einer selbständigen, reflexionsfähigen Persönlichkeit reifen kann, fasst   Verena Konrad, Direktorin des VAI, den Kern der Überlegungen zusammen. Damals wurden räumliche Konzepte entworfen, die Lernenden und Lehrenden mehr Flexibilität ermöglichten. Wo solche Pläne verwirklicht werden konnten – und zwar nicht nur in Europa – wird aufgezeigt. Ein schönes Beispiel bietet eine Schule, die von einem Büro in Montreal für ein Gebiet im Norden Kanadas entworfen wurde, die für die dortige Bevölkerung eine Herausforderung darstellte, weil man bislang nur restriktive Lehrmethoden kannte. Ein Bau, der von außen wie ein gestrandetes Raumschiff wirkt, bietet innen mit verschiebbaren Wänden vielfältige Möglichkeiten der Raumgestaltung. Ein weiteres Beispiel befindet sich in einer ländlichen Region in Kuba. Dort nutzte man Fertigbaumodule, um die Lernstätten dorthin zu bringen, wo die Menschen ihren Alltag verbrachten, nämlich inmitten von Anbauregionen, wo Kinder somit parallel in der Landarbeit wie in den verschiedenen Wissensbereichen unterrichtet werden konnten.

Epoche als Ressource

Dass Gesamtschulmodelle, die Gründung von Freien Universitäten und die Entwicklung von Bildungsnetzwerken thematisiert werden, versteht sich für eine solche Ausstellung, die nicht nur vor Ort mit Video- und Filmdokumentationen Vertiefung bietet, weiterer Input – etwa für Pädagogen – wird digital zur Verfügung gestellt. Kooperationen mit Schulen, deren Architektur Erkundenswertes aufweist, sind nach den Corona-Lockdowns nun eher zu realisieren wie es in Berlin der Fall war, wo das Projekt „Bildungsschock“ unter der Leitung des Kunsthistorikers Tom Holert erstellt wurde. Die Epoche der 1960er- und 1970er-Jahre stelle, so der Kurator, eine Ressource dar, aus der man für die Lösungen von bildungspolitischen Fragen schöpfen könne. Trotz weiterer Innovationsschübe seien wesentliche Probleme, nämlich die Chancenungleichheit, ungelöst. „Bildung ist nur noch ein Sonntagsredenthema“, hält Holert im Gespräch mit den VN fest. Man rede von einer Wissensgesellschaft und von der Notwendigkeit internationaler Konkurrenzfähigkeit, konkret unternommen werde aber nicht viel.

Das Vorarlberger Architekturzentrum bietet neben der Ausstellung sehr viel Vertiefungsmaterial zum Thema Bildung. vai/Rainer
Das Vorarlberger Architekturzentrum bietet neben der Ausstellung sehr viel Vertiefungsmaterial zum Thema Bildung. vai/Rainer

Die Ausstellung ist bis 25. Juni im Vorarlberger Architekturzentrum in Dornbirn, Marktstraße 33, geöffnet, Di bis Fr, 14 bis 17 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa, 11 bis 15 Uhr.