Walter Fink

Kommentar

Walter Fink

Von den Opfern zu den Tätern

Kultur / 13.03.2022 • 06:30 Uhr

Vor genau 40 Jahren, im Jahr 1982, erschien das Buch „Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte“. Es war die erste Publikation, die „das gequälte Verhältnis der Vorarlberger Geschichtsschreibung“ (Herausgeber Meinrad Pichler) zu Themen wie dem christlichen Antisemitismus, der Liaison der Vorarlberger Industriellen mit den Nazis oder der nationalsozialistischen Herrschaft in Vorarlberg aufzeigte.

Erstmals wurde, durchaus gegen öffentlichen Widerstand, die Zeit von 1870 bis 1945 einer kritischen Aufarbeitung unterzogen. Zu diesem Zweck schlossen sich damals junge Historiker in der „Johann-August-Malin-Gesellschaft“ zusammen, womit nicht nur das Buch, sondern auch diese Gesellschaft ein 40-Jahr-Jubiläum feiern kann. Maßgebliche Autoren – Markus Barnay, Werner Bundschuh, Werner Dreier, Gernot Egger-Kiermayr, Kurt Greussing, Leo Haffner, Meinrad Pichler oder Harald Walser – haben in diesem und anderen Büchern die Geschichte dieses Landes neu geschrieben. Es ist ihnen und einigen anderen zu verdanken, wenn wir heute ein klares Bild vor allem von der Zeit des Nationalsozialismus haben. Maßgeblich dazu beigetragen hat der Band „Von Herren und Menschen“, in dem auch das Lexikon jener Menschen enthalten ist, das Grundlage für das Vorarlberger Widerstands- und Deserteursmahnmal am Bregenzer Sparkassenplatz ist.

Es ist an der Zeit, dass sich nicht nur die Historiker zu ihrem Jubiläum bei ihrem Publikum bedanken, sondern dass auch wir ihnen für ihre Arbeit, für ihre Forschungen und für das neue Geschichtsbild, das wir bekommen haben, Dank sagen.

Nun, nach 40 Jahren, widmen sich die Historiker von damals einer neuen Aufgabe: Sie reden nicht mehr „nur“ über die Opfer, sie benennen auch die Täter. „Menschenverächter – Vorarlberger als Akteure bei Entrechtung und Vernichtung im Nationalsozialismus“ heißt das Buch, das am Mittwoch vorgestellt wurde. Die Autoren sind „die üblichen Verdächtigen“ schon von damals: Werner Bundschuh als Herausgeber, Werner Dreier, Gernot Kiermayr, Meinrad Pichler und Harald Walser. Es ist ein unglaublich wichtiges Buch, weil es jene Täter nennt, die eben auch bei uns als Richter, als Ärzte, als Politiker und in anderen Funktionen Verbrechen an den Menschen begangen haben, und dafür nur in den seltensten Fällen nach der Zeit des Nationalsozialismus belangt wurden. Meist konnten sie ihre schändlichen „Karrieren“ als geachtete Bürger nach 1945 lupenrein fortsetzen. Diesen Männern haben die Autoren und die Malin-Gesellschaft mit diesem Buch das ihnen gebührende „Denkmal“ gesetzt.

Es ist an der Zeit, dass sich nicht nur die Historiker zu ihrem Jubiläum bei ihrem Publikum bedanken, sondern dass auch wir ihnen für ihre Arbeit, für ihre Forschungen und für das neue Geschichtsbild, das wir bekommen haben, nicht zuletzt für ihren Mut, den es für ihre Veröffentlichungen gebraucht hat, Dank sagen und uns vor ihrer Leistung verneigen.

Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.