Walter Fink

Kommentar

Walter Fink

Der Krieg ist ganz nah

Kultur / 20.03.2022 • 07:59 Uhr

Vor kurzem ist das von der Johann-August-Malin-Gesellschaft herausgebrachte Buch „Menschenverächter“ (Herausgeber Werner Bundschuh) erschienen.

Es führt uns vor Augen, wie „Vorarlberger als Akteure bei Entrechtung und Vernichtung im Nationalsozialismus“ tätig waren. Die Autoren Werner Bundschuh, Werner Dreier, Gernot Kiermayr, Meinrad Pichler und Harald Walser zeigen uns, zu was für Gräueltaten Vorarlberger Landsleute in der Zeit des Nationalsozialismus, der Diktatur und des Krieges fähig waren. Einzig die dringende Notwendigkeit, solche Verbrechen in Zukunft durch Erinnerung zu verhindern, rechtfertigt dieses Buch, macht die Herausgabe geradezu zwingend.
Und doch ist jetzt wieder Krieg. Zwar nicht bei uns, aber doch nicht weit von uns. Wladimir Putins Russland hat die Ukraine überfallen und wütet dort wie in schlimmsten Erinnerungen unserer Vätergeneration. Der Krieg ist nicht weit, die ukrainische Hauptstadt Kiew ist von Wien ungefähr gleich weit entfernt wie Bregenz. So gesehen ist es auch unser Krieg, ist es genau das, was wir glaubten, mit Erinnerung an die eigenen Schrecknisse verhindern zu können. Unsere Väter und Großväter, unsere Mütter mit uns als Kindern haben Krieg erlebt, den Ersten Weltkrieg, dann die Diktatur und den Zweite Weltkrieg – und dann standen sie da, vor dem Nichts. Außer jenen, die sich am Krieg, an der Not der anderen bereichert haben. Die gibt es noch immer, auch in unserer Region um den Bodensee, die geradezu gespickt ist mit Waffenproduzenten. Viele dieser Waffen gehen jetzt in die Ukraine. Mögen sie dort den Menschen bei der Verteidigung helfen – letztlich aber bringen Waffen immer auch den Untergang. Den eigenen und den von anderen.

Krieg fördert – das Buch „Menschenverächter“ zeigt es – immer die niedrigsten, die bösartigsten, die verwerflichsten Triebe im Menschen.

Krieg fördert – das Buch „Menschenverächter“ zeigt es – immer die niedrigsten, die bösartigsten, die verwerflichsten Triebe im Menschen. Menschenhändler, Kinderentführer, Frauenverschlepper haben, wie eine Dokumentation vor wenigen Tagen gezeigt hat, in der Ukraine Hochsaison. Wer kümmert sich schon in Zeiten des allgemeinen, großen Sterbens um ein schreiendes Kind, wer um eine vergewaltigte Frau? Sie fallen angesichts der Gesamtkatastrophe nicht ins Gewicht, sie werden nicht gezählt, sie verschwinden einfach. Und Putin sitzt im Kreml und erzählt uns Märchen. Was sind das für kranke Menschen, die so etwas denken oder, noch schlimmer, auch glauben? Man sollte Oscar Wilde lesen: „Erst wenn man den Krieg als Niedertracht erkennt, wird er seine Popularität verlieren.“ Genau das ist es, was derzeit in der Ukraine stattfindet: Niederträchtig. Unmenschlich. Widerwärtig. Und all das möge auf jene zurückfallen, die dieses unsagbare Leid verursacht haben – auch wenn uns die Geschichte solche Gerechtigkeit nicht lehrt.

Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.