Der Zeitgeist als Zeremonienmeister

Kultur / 27.03.2022 • 07:00 Uhr
Der Zeitgeist als Zeremonienmeister
Neun Künstler setzen sich im Künstlerhaus Bregenz individuell und doch gemeinsam mit Ritualen und Zeremonien auseinander. Florian Raidt

„Liminal Creatures“ – zu mehrt feiert es sich im Künstlerhaus doch schöner.

Bregenz Irgendwie ist es schon beinahe verdächtig, dass sich kunstschaffende Persönlichkeiten aktuell gerne und intensiv mit den Themenkomplexen Ritual und Zeremonie auseinandersetzen. „Das ist schon der Pandemie geschuldet“, sind sich Selina Reiterer und Marlene A. Schenk, die beiden Kuratorinnen der Gruppenausstellung „Liminal Creatures“ im Bregenzer Künstlerhaus, zunickend sowie wortgleich einig. Zeitgeist also, in diesem Fall mit dem Fokus auf das Wiedererlernen von Bekanntem. Das macht Sinn.

Im dunklen Raum: Arbeiten von Bernhard Garnicnig (Video) und Selina Reiterer.
Im dunklen Raum: Arbeiten von Bernhard Garnicnig (Video) und Selina Reiterer.

Der ursprüngliche und gleichsam wunderschöne Gedanke war ein großes Bankett an einer an das letzte (oder in dem Fall erste) Abendmahl erinnernde Tafel, wobei die letzten Reste ihre Chance als eine Art Dauerinstallation erhalten hätten. Am Konjunktiv merkt man schon, dass sich das so nicht verwirklichen ließ.
Dass jetzt genau jene neun Künstlerinnen und Künstler partizipieren, welche Reiterer (lebt in Bregenz) und Schenk (lebt in Berlin) schon vor einem Jahr und über die gesamte Zeit der Konzeption im Hinterkopf beziehungsweise auf Abruf hatten, diese nun aber individuelle Werke verschiedenster Techniken und Medien präsentieren, ist dem im Kulturbetrieb vielzitierten Prozess zu verdanken „Der eigene Blick auf das Thema, im Professionellen wie auch im Privaten, hat sich verändert“, erklärt Schenk. Und was meint Reiterer? „Das Ziel war von vornherein, eine herzeigbare, internationale Show nach Bregenz zu holen. Das ist uns gelungen.“

Die beiden Kuratorinnen hegten schon lange den Wunsch, gemeinsam etwas in die Richtung zu machen, was nun im Künstlerhaus zu bestaunen ist. Dass da neben Herzblut auch überaus viel Engagement hineingeflossen ist, wird dem kunstbeflissenen Besucher schnell klar. Auf vier Räume verteilt finden sich Malerei, Objekte, Installationen – Analoges wie Digitales –, welche allesamt dem übergeordneten Thema dienen, jedoch aus so unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden können, dass sich jegliches Werk zwar für sich kunstgeschichtlich zuordnen lässt, sie sich jedoch in der Summe und der Art der Kuration genau dieser Einordnung entziehen.

Einige Beispiele gefällig? Die Arbeiten der aus Meersburg stammenden Lena-Elise Aicher münden in Kleindenkmälern, welche eine harmonische Kombination aus ursprünglichen (hauptsächlich Bodenseeuferfunden) und zeitgenössischen (Carbon, Epopxy) Materialien sind. Die prozesshafte, verlangsamte Wandmalerei der in Berlin lebenden Stefanie Kägi steht räumlich den collagenartigen Werken des in Heidelberg beheimateten Maximilian Arnold gegenüber. Im zweiten Geschoss des Palais Thurn & Taxis reichen sich zudem Dominika Bednarsky, Bernhard Garnicnig, Marianne Mueller, Gregory Hari und Selina Reiterer die Hand. Letztgenannte lebt die Dualität: Kuration und Kunst.

Ganz weit oben: „Rooftop Temples of New York“ von Karin Ferrari.
Ganz weit oben: „Rooftop Temples of New York“ von Karin Ferrari.

Getoppt wird das Ganze dann, zumindest von der Örtlichkeit her, durch Karin Ferrari. Die in Wien lebende Künstlerin bespielt das Dachgeschoss mit einer logischen Erweiterung ihrer Arbeit „Rooftop Temples of New York“, welche sich auf einer raffinierten Metaebene mit dem Unsichtbaren, Gedachten und Vermuteten hinter dem Sichtbaren auseinandersetzt.

Für einen kurzen Rundgang ist diese Ausstellung nicht gedacht, man sollte schon Zeit mitbringen. Diese wird bei „Liminal Creatures“ allerdings alles andere als verschwendet. Dafür darf ein weiterer omnipräsenter Begriff herhalten, und zwar der Mehrwert.

„Liminal Creatures“ ist noch bis 1. Mai 2022 zu sehen. www.kuenstlerhaus-bregenz.at