Beispielhaft für viele Schicksale und die Zeit

Kultur / 27.05.2022 • 17:46 Uhr

Erinnerungen einer Magd bzw. an Kinderarbeit in der Region.

Erzählung, Biografie Als Kind armer Leute 1854 in Schnifis geboren, lernte Regina Lampert schon mit zehn Jahren das harte Leben der „Schwabenkinder“ kennen. So wurden Kinder genannt, die aus Vorarlberg und Tirol jeweils vom Frühjahr bis zum Spätherbst nach Oberschwaben zogen, um dort als Knechte in Stall und Haus sowie als Viehhüter zu arbeiten. Sie brachten ein wenig Geld sowie Gewand nach Hause und befreiten ihre in Armut lebenden Familien über mehrere Monate von einem oder mehreren Essern. Die Aufzeichnungen von Regina Lampert sind vor einigen Jahrzehnten unter dem Titel „Die Schwabengängerin. Erinnerungen einer jungen Magd aus Vorarlberg 1864-1874“ erschienen. Die mittlerweile vergriffene Publikation wurde nach handschriftlichen Aufzeichnungen vom Vorarlberger Bernhard Tschofen wissenschaftlich betreut, der nun eine Neuauflage mit zusätzlichen Beiträgen und Dokumenten herausgebracht hat.

Tschofen: „Es ist ein singuläres Phänomen, dass eine Frau aus diesem Milieu in jener Zeit eine solch umfassende Autobiografie verfasst hat.“ Interessante Einblicke, so Tschofen, liefere das Buch auch in die damalige Lebenswelt: „Die Kinder mussten früh Geld verdienen und waren früh selbständig. Gerade „Schwabenkinder“ wie Regina Lampert seien später oft erfolgreich gewesen. Lampert lebte ab 1875 in der Schweiz, wo sie beim Aufbau eines Unternehmens half, heiratete, aber früh verwitwet war und sich mit ihren Kindern durchbringen musste. Sie starb 1942 in Zürich.

Gesellschaft in Aufbruch

Die Lebenserinnerungen, die Lampert als Großmutter für ihre Familie in unvergleichlich lebendiger Form aufzuschreiben begann, endet im Übrigen nicht bei den Schwabengängen, sie beschreibt auch ihre Arbeit und Begegnungen im Ausflugsgasthaus Maria Grün bei Frastanz. Sie sind, wie der Kulturwissenschaftler und Ethnologe Bernhard Tschofen schreibt, auch „eine einmalige erfahrungsgeschichtliche Quelle für die großen wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen im Bodensee- und Alpenraum während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie konterkarieren das vorherrschende Bild einer stabilen Kultur der Sesshaftigkeit und erlauben Einblicke in eine zugleich von Armut und Anpassungsfähigkeit geprägte Zeit des Übergangs.“ In Lamperts subjektiver Rückschau zeige sich die ländliche Gesellschaft im Aufbruch, „ein Milieu zwischen Landwirtschaft, Handwerk und Industriearbeit, in dem saisonale Migrationsbewegungen nicht der einzige Ausdruck hoher räumlicher und sozialer Mobilität waren”.