Erstaufführung nach 150 Jahren

Leo McFall bot mit dem Symphonieorchester Vorarlberg Überraschendes.
FELDKIRCH Es wäre schade gewesen, hätte man dieses Programm, das im Jänner Corona zum Opfer gefallen war, entsorgt. Der erfolgreiche Versuch einer Wiederbelebung hat sich ausgezahlt und fand nun im vollbesetzten Montforthaus ein aufnahmebereites Publikum. Chefdirigent Leo McFall machte mit seinen hoch motivierten Musikern die ganze Palette orchestraler Möglichkeiten aus Naturschauspiel, Violin-Virtuosität und der Erstaufführung einer 150 Jahre alten Symphonie aus Frauenhand zum beschwingten Saisonfinale.
Es beginnt mit sanften Streicherwellen unter Anleitung des fabelhaften Konzertmeisters Pawel Zalejski und mündet in einen aufbrausenden Blechsturm. Mendelssohns Musik gewordene Seefahrt in seiner „Hebriden-Ouvertüre“ gilt als gefälliges Einspielstück, das Eindruck und Stimmung macht. Hier ist es mehr: Man generiert daraus eine dichte Naturstudie aus verwaschenen Farben, die den Boden bereitet für den Auftritt einer norwegischen Violinsolistin. Eldbjörg Hemsing ist wie verwachsen mit Dvoráks einzigem Violinkonzert a-Moll, das ihr mit einer Mischung aus blitzsauberer Virtuosität bis in höchste Lagen und weich ausgespielten Kantilenen sehr zu liegen scheint. Die Solistin betont mit leicht geschärftem Ton und auswendig die Würze ihres Soloparts und genießt es, wenn der Brite McFall dazwischen sein Orchester in den heroischen Aufbrüchen lustvoll leuchten lässt. Der bekannte dritte Satz verrät dann ganz eindeutig, wes Geistes Kind dieses Werk ist, wenn kantige slawische Tanzrhythmen auf den Schöpfer Dvorák verweisen.
Diese folkloristische Stimmung wird in Dvoráks wenig bekannten, aber ungemein gehörfälligen Orchesterlegenden op. 59 fortgeführt. Es sind Herzblut-Stücke seiner böhmischen Heimat in verschiedenen Stimmungen, leichte Sommerkost für Verliebte und durchzogen von jener Melancholie, ohne die es dort keine rechte Freud‘ gibt. Hier sind vor allem die Holzbläser und das Blech mit hübschen quirligen Einlagen gefordert.
Emilie Mayer (1812-1889)
Mit Spannung erwartet wurde eine musikhistorische Überraschung, die vermutete österreichische Erstaufführung der Symphonie Nr. 1 in c-Moll von Emilie Mayer (1812-1889). Als „Componistin“ des 19. Jahrhunderts fällt sie total aus dem Rahmen, gelingt es ihr doch, sich damals gegen die Männerdomäne durchzusetzen und mit ihrem Beruf von den Größen jener Zeit ernstgenommen zu werden. Mit ihren acht Symphonien dominierte Mayer das Musikleben in Berlin, doch nach ihrem Tod war sie vergessen. Erst in den 1970-er Jahren blitzte da und dort etwas von ihr als „Wiederentdeckung“ auf, und tatsächlich wurden ihre ersten beiden Symphonien kürzlich in einer Einspielung von Leo McFall mit der NDR-Radiophilharmonie mit einem Opus Klassik ausgezeichnet.
Der Dirigent weiß bei Mayers erster Symphonie von 1845 also genau, worauf es ankommt. Auch wenn er einschränkend von „ungeschliffenen Ecken und Kanten“ spricht, kann man dem Werk die vielen schönen Einfälle und eine kompakte handwerkliche Verarbeitung nicht absprechen. Interessant ist zunächst, dass die Komponistin in der Romantik lebte. Doch zumindest ihre erste Symphonie ist von klar klassischem Zuschnitt, in der Tonsprache ebenso wie formal in den Sätzen. Also haben ihr aus den Lehrbüchern wohl eher Haydn oder Mozart über die Schulter geblickt als die Zeitgenossen Schumann oder Mendelssohn. Erstaunlich auch, dass Emilie Mayer an ihrem Werk gewachsen ist. Während der erste Satz noch akademisch brav wirkt, überrascht bereits das Adagio mit einem lieblichen Thema, das Scherzo kommt spritzig daher. Das Finale „Allegro vivace“ aber ist nun wirklich ein solches, ein Satz, der einen durch sein Feuer, seine gekonnte Polarisierung im Orchester wirklich mitreißt. Vor allem aber auch durch den großartigen Einsatz, den das Orchester in allen Registern und Solopassagen hier leistet. Diese Symphonie ist ein wichtiges und ernstzunehmendes Zeitdokument. Neben dem Dirigenten scheint diese Art der Bewältigung der nach Beethoven gefürchteten symphonischen Form auch den Musikern und nicht zuletzt dem Publikum zu gefallen.
Radioübertragung des Konzerts: ORF Vorarlberg, 4. und 11. Juli, ab 21 Uhr