Rasant und unwiederbringlich verloren

Kultur / 01.07.2022 • 19:07 Uhr
Historische Aufnahme von Douglas Mandry auf Gletschervlies. AG
Historische Aufnahme von Douglas Mandry auf Gletschervlies. AG

Ausstellung im Kunstforum Montafon thematisiert die globale Gletscherschmelze.

SCHRUNS Das Eis auf den Gletschern des Planeten schmilzt rasant und unwiederbringlich. Die Folgen des prognostizierten völligen Verschwindens der Gletscher in absehbarer Zeit sind für Mensch und Umwelt dramatisch und beschäftigen nicht nur Glaziologen und Wissenschaftler auf verschiedenen Gebieten, sondern auch Kunstschaffende. Im Kunstforum Montafon ist eine gut sortierte Auswahl von 12 internationalen Positionen zu sehen, die sich der Thematik unter dem Motto „Vom Schmelzen und Schwinden“ in eindringlichen Bildern widmet, die selbst im Sommer ein Frösteln auslösen.

Feldforschung

Das Thema sei traurigerweise aktueller denn je, aber diese Ausstellung zu kuratieren sei ihm schon seit längerer Zeit ein Herzensanliegen gewesen, betont Roland Haas. Der Rückzug der Gletscher beschäftigt den KFM-Kurator und begeisterten Berggänger, der auch als Künstler in der Ausstellung vertreten ist, schon seit 30 Jahren. Damals, als die Klimaskeptiker noch in der Überzahl waren, sind während eines Arbeitsaufenthalts in Neuseeland erste Gletscher-Rückzugs-Szenarien als zeitrafferartige Sequenzen in Aquarelltechnik entstanden. Neben dieser 1992 entstandenen Arbeit zeigt Haas als Pendant das jüngste Blatt vom heimischen Ochsentaler Gletscher, in dem er den möglichen Schmelz-Verlauf visualisiert.

Doch eigentlich sollte man den Ausstellungsrundgang ein paar Häuser weiter, im Heimatmuseum in Schruns beginnen. Dorthin, in den angrenzenden Stadel, wurde die Installation des jungen deutschen Künstlers Alex Braun ob ihrer Materialfülle und Dimensionen ausgelagert. In ausführlicher Recherchearbeit und Feldforschung am Ochsentaler Gletscher seit dem Spätherbst 2021 hat Braun historische Handschriften und Dokumente aus verschiedenen Archiven, Fundstücke vom Gletscher, alte Aufnahmen und neue, eigene Fotos zusammengetragen und in einem schlicht-schönen, hölzernen Display vereint.

Leichentücher

Historische Aufnahmen, als Lithografien auf gebrauchte Gletscher­vliese gedruckt, die die Spuren vom Eis tragen und fast abstrakt wirken, stellt der Schweizer Douglas Mandry in der ehemaligen Lodenfabrik des KFM aus, und auch die mahnenden Fotografien von Thomas Wrede zeigen in einem Triptychon den mit riesigen Schutzfolien bedeckten Südtiroler Presena-Gletscher. In der Reihe „Shroud“, was so viel wie Leichentuch bedeutet, des aus Nigeria stammenden Fotografen Simon Norfolk sind die Gletschervliese, die exponierte Eisflächen im Sommer schützen sollen, wie kostbare, faltenwerfende Tücher drapiert. Für andere, in Langzeitbelichtung entstandene, eindrucksvolle Aufnahmen ist der renommierte Künstler am Mount Kenia mit einer brennenden Fackel den Gletscherrand entlanggelaufen.

Unter den naturgemäß vielen fotografischen Positionen zum Thema sind neben klassischen Vertretern wie Michael Goldgruber auch ungewöhnliche Umsetzungen fotografischer Technik, wie bei Gabriele Rothemann, zu sehen. Die Künstlerin transferiert Fotos von Eisschollen auf kleine, rare Plättchen von Mammutelfenbein, wirft einen Blick zurück und voraus in eine Zeit, in der die Gletscher ebenso ausgestorben sein werden wie die Mammuts. Ähnlich fragil wie die kostbaren Miniaturen in der Vitrine sind auch die mit Fäden überspannten Buchseiten, u. a. mit einer Abbildung des Piz Buin, von Ulrike Heydenreich angelegt. Wird dem natürlich Geformten das Menschgemachte aufgezwungen?

Blutalgen und YouTube

„Wir sind die Dinos von morgen“ konstatiert dagegen Anna Meyer, die ein Gemälde zeigt, das im Umfeld einer Serie großformatiger Billboards am Großglockner entstanden ist. Mit Martin Pohl ist eine weitere malerische Position zu Gast, die fast ketzerisch die Frage aufwirft, ob es sich bei den im Kontext der Schau gezeigten beiden Gemälden um gemalte Landschaft oder um freie, abstrakte Malerei handelt. Während der Tiroler Künstler Thomas Feuerstein einmal mehr mit seinem experimentellen und universalistischen Ansatz positiv heraussticht und es eigen-kultivierte Blutregenalgen auf Leinwand „regnen“ lässt, erweist sich die niederländische Künstlerin Anouk Kruithof ganz als Kind unserer Gegenwartskultur, wenn sie in ihrem Video „Ice Cry Baby“ YouTube-Found-Footage-Material von kalbenden und abbrechenden Gletschern verarbeitet und die digitale Bilderflut wörtlich über uns hereinbrechen lässt.

Die Installation von Axel Braun ist im Heimatmuseum in Schruns bis Anfang 2023 zu sehen.
Die Installation von Axel Braun ist im Heimatmuseum in Schruns bis Anfang 2023 zu sehen.
Rasant und unwiederbringlich verloren

Geöffnet im Kunstforum Montafon in Schruns, bis 12. August, Di bis Fr sowie So von 16 bis 18 Uhr: www.kfm.at Installation von Axel Braun im Heimatmuseum bis 2023.