Vorsicht Schlingpflanzen
Der Sommer neigt sich und wir machen bald einmal die späten Züge im herbstlichen Wasser des Bodensees. Sanft umschmiegt das Element unseren Körper, trägt uns, schaukelt uns, lässt uns über Wellen gleiten. Doch dann spürt man nicht nur das Wasser, etwas Weiches, Unangenehmes fließt über unsere Haut. Ein Fisch, der an uns streift? Eine Pflanze, die über uns streicht? Eine Schlingpflanze gar? Erinnerungen an die Kindheit kommen auf: Das sind doch jene langen Stauden, die in Ufernähe bis an die Oberfläche wachsen und wenn man sich darin verstrickt, dann ziehen sie uns hinab in die Tiefe, in der wir uns rettungslos in diesen Schlingpflanzen verfangen und nie mehr heraufkommen. So oder ähnlich hat man uns das damals erzählt, dramatisch, gefährlich, vergleichbar dem Fischer bei Johann Wolfgang von Goethe, der „halb zog sie ihn, halb sank er hin“ in der Tiefe des Sees verschwindet. Und wenn wir dann dem Ungetüm entkommen und am rettenden Ufer sind, dann fordern wir lautstark, dass „endlich die Seekuh dieses grauslige Zeugs da entfernen soll“. Die Seekuh ist ein technisches Gerät, das den gröbsten Pflanzenwuchs in Badebereichen des Sees mäht.
Die Makrophyten, so heißen diese Pflanzen nämlich korrekt, sind ein Zeichen für beste Wasserqualität eines Sees.
Die Mär von den Schlingpflanzen ist alt, ungeachtet dessen eben eine Mär. Die Wahrheit ist eine andere. Die Makrophyten, so heißen diese Pflanzen nämlich korrekt, sind ein Zeichen für beste Wasserqualität eines Sees. Vor allem sind sie, so Thomas Blank, Vorstand der Abteilung Wasserwirtschaft beim Land Vorarlberg, eine Art Kinderstube für junge, kleine Fische, die sich hier verstecken, die hier Nahrung finden. Für Schwimmer sind sie vielleicht nicht ganz angenehm, aber völlig ungefährlich. Seit Anfang der Siebzigerjahre werden sie als Indikatoren für die Wasserqualität herangezogen. Je nachdem, welche Arten in welcher Häufigkeit vorkommen, können Rückschlüsse auf bestimmte ökologische Faktoren gezogen werden. Am Bodensee finden sich am Uferbereich geradezu Wiesen von Wasserpflanzen, es ist ein wunderbarer Artenreichtum, der durchaus vergleichbar mit den Pflanzen an der Luft ist. Nur: Unter Wasser nehmen wir die Pflanzen üblicherweise nicht wahr, außer: sie streichen uns am Körper und werden damit in unseren Köpfen zu Schlingpflanzen.
Seit vielen Jahren versuchen die Wissenschaftler, die Mär von den gefährlichen Pflanzen zu widerlegen. Nicht wirklich erfolgreich allerdings. Denn wenn wir auch verstehen, wenn man uns die Wichtigkeit und Nützlichkeit der Makrophyten erklärt, so verschwindet dieses Wissen, wenn wir von ihnen beim Schwimmen am Bauch gekitzelt werden. Dann werden die wunderbaren Pflanzen sofort wieder zu Schlingpflanzen.
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