Die interkontinentale Metaebene

Die Ritsch Sisters experimentieren im DWDS mit althergebrachten Sehgewohnheiten.
Bregenz In einer Werbeanzeige der besonders unter professionellen Fotografen beliebten Leica Camera AG hieß es einst: „Wer sehen kann, kann auch fotografieren. Sehen lernen kann allerdings lange dauern.“ Den zweiten Satz kann man besten Gewissens so unterschreiben, beim ersten darf darauf hingewiesen werden, dass Fotografie, wenn es sich nicht nur ums blind Drauflosknipsen handelt, am Ende des Tages doch noch ein Handwerk mit goldenem Boden ist. Eben dieses üben die in Dornbirn sozialisierten Schwestern Anna (Jahrgang 1984, lebt in New York) und Maria Ritsch (Jahrgang 1988, lebt in Wien) interkontinental auf höchstem Niveau aus.
Experimente im Off-Space
Es ist ein Glücksfall, dass sich die beiden unter dem Label Ritsch Sisters auch künstlerisch auszudrücken wissen. Angefangen hat das, was im DWDS (Die Wiedergeburt des Schaufensters) in ihrer Ausstellung „New Arrangements“ präsentiert wird, mit einer vor gar nicht allzu langer Zeit von der Wand gerissenen Fototapete. Diese wurde durch den sogenannten Papierverzug zur sich verändernden und dadurch vielfotografierten Skulptur. In der Kunstgeschichte nennt man das Formalismus – und diesen nutzen die beiden als Experimentierfeld. „Gerade ein Off-Space wie das DWDS gibt uns den Raum, freier und verspielter zu agieren“, zeigen sich die Künstlerinnen vom bespielten Ort und dessen hochfrequentierter Lage in der Landeshauptstadt begeistert.
In ihrem organischen Arbeitsablauf, der auf einer gewissen Entschleunigung und steter Hinterfragung beruht, haben die Schwestern ein Konzept erstellt, das speziell an den Raum mit seinen markanten Spiegelungen angepasst ist. Die im Format unterschiedlichen Drucke sind nicht flach und dadurch als Ganzes ersichtlich konventionell an der Wand befestigt, sie stehen gerollt am Boden, wodurch sie zu Objekten stilisiert werden, die durch ihre organische Konsistenz steter Veränderung ausgesetzt sind. „Man sieht nur einen Teil des Bildes“, erklären die Ritsch Sisters. „Es geht um die Form. Der Inhalt ist hintergründig und soll vom Betrachter fertig gedacht werden.“
Mut zur Lücke
Das Spiel mit der Interaktion und den Lücken treiben sie mit 150 Kuverts, welche in der Auslage des Schaufensters liegen, auf die Spitze. Deren Inhalt, assoziativ handverlesene Prints der Künstlerinnen, sind nur durch den aufgedruckten Bildtitel zu erahnen. So entstehen je nach Arrangement poetische wandelbare Textketten. Die Briefumschläge sind zudem käuflich erwerbbar, so kann sich jeder Besucher seine eigene Geschichte nach Hause holen.
Wäre Kunst ein Sport, dann hätten die Ritsch Sisters den Weltrekord im 1000-Meta-Lauf inne.

Die „New Arrangements“ sind noch bis zum 29. Oktober zu sehen, Jahnstraße 13-15 in Bregenz, https://dwds.info/