Erfrischendes Erwachsenwerden

Die Abfindung
Yves Ravey, 108 Seiten, Liebeskind
Zugegeben, Adoleszenz-Romane sind nicht gerade die Neuentdeckung des Jahres, einer überrascht dennoch.
ROMAN „Hund Wolf Schakal“ ist eine Geschichte über eine iranische Familie, die in den Tumulten der Iranischen Revolution der 1970er-Jahre flüchtet. Die Handlung beginnt in Teheran, mit einem Schwenk in die alte Zeit unter dem Schah, vor der Revolution, als man noch von Persien sprach und sich die geistige und militärische Führungselite als Teil der westlichen Welt begriff. Mit der Revolution verschob sich das Weltbild von einem Tag auf den anderen, die Auswirkungen sind bis heute sehr dramatisch spürbar, aber der Roman spielt nicht heute, sondern nistet sich im Berlin der frühen 1980er-Jahre ein: Der Intellektuelle und Regimekritiker Jamshid flüchtet aus dem Iran mit seinen Kindern in den abgewrackten Teil von Westberlin. Hauptcharakter ist sein Sohn Saam. Saam saugt von der Volksschule weg die neue Welt gierig in sich auf, zur Freude seines libanesischen Freundes Heydar. Zusammen machen sie schon bald die Straßen von Neukölln unsicher und tauchen in eine Welt aus kapitalistischen Elementen und mittelalterlichen, hierarchischen Stammeskulturen ein. Sowie eben die Welt der Migranten ausschaut, sofern sich niemand um sie hier kümmert. Daraus entwickelt sich jedoch kein Drama, sondern eine Art temperamentvoller Adoleszenzroman, der zum Großteil auf der Straße stattfindet. Ist jetzt seit der Migration der ersten Gastarbeitergeneration nach Deutschland nicht anders, aber bis jetzt hatte so ein Roman keine großflächige Veröffentlichungsmöglichkeit. Es muss auch gesagt werden, dass der Autor Behzad Karim Khani weiß, seine Charaktere an den Leser zu binden.
Keine Ghettosprache
Das Leben findet zwischen schäbigen Lokalen für Migranten, dem Ranking in der eigenen Gruppe und dem illegalen Verkauf von gefälschten Designerklamotten statt. Muskeltraining und Eiweißshakes stählen die Körper zur Selbstverteidigung, vielleicht auch als Selbstschutz und Neudefinition in einer fremden Umwelt. Zu dem eher zweifelhaften Vergnügen der käuflichen Liebe gesellen sich die ersten Einbrüche, bis es einmal anständig rummelt. Der Autor passt sich hier sehr gut den Lebenssituationen der Protagonisten an, ohne in eine künstliche Ghettosprache zu verfallen und öffnet dadurch kein neues Fass, das es nicht wirklich braucht. Eines sollte man vielleicht noch festhalten: Die Migranten, die der Autor beschreibt, fühlen sich in Westberlin sehr wohl, integrieren sich auf ihre Art und wollen keine Sekunde wieder in den Iran zurück. Dankbar darf man als Leser sein, da die Story jetzt doch ohne künstlichen Liebeskummer oder Ghettoschmus auskommt und so eigentlich die Situation der Jungen Migranten in den 1980er-Jahren sehr ungeschönt rüberbringt.
Züngelnde Flammen
Auf einem ganz anderen Dampfer befindet sich der französische Autor Yves Ravey. In „Die Abfindung“ geht es vordergründig um die Abwicklung eines Konkursverfahrens bezüglich der Tankstellenpacht des Herrn Segher. Im Hintergrund geht es jedoch um den eiskalten Mord an einem Mechaniker, der ein Verhältnis zu seiner Frau begonnen hat. Yves Ravey erzählt die Geschichte so gelassen, als ob es sich um eine Tankfüllung handeln würde, die zur Feier des Tages dem Kunden spendiert wird, während es schon an allen Ecken und Enden zu lodern beginnt, doch jeder so tut, als ob nichts wäre. Das sorgt beim Lesen für eine gewisse Irritation, anderseits entwickelt sich die absurde Situation zur Triebfeder des ganzen Romans. Eine Inspekteurin der Versicherung, die bezüglich Brandlegung ermittelt, sorgt für den nötigen Drive in der Geschichte, dessen Ende im Grunde hochkomplex ist und ein neues Licht auf die Geschichte wirft. Eigenartig!

Hund, Wolf, Schakal
Behzad Karim Khani, 285 Seiten, Hanser Berlin