Der Popmusiker als Autor

Good Pop, Bad Pop
Jarvis Cocker, KiWi, 398 Seiten
Nicht erst seit Bob Dylans Nobelpreis stellt sich immer wieder die Frage, wie viel literarisches Blut in Musikern steckt.
BIOGRAFIE Am Höhepunkt ihrer Karriere schreiben Musiker selten Bücher, außer sie verpflichten einen Ghostwriter, denn da haben sie schlicht und ergreifend nicht die nötige Zeit dazu. Jarvis Cocker ist so ein Beispiel. Er war der Leadsänger der Band Pulp, die im vergangenen Jahrtausend, genau gesagt 1995, mit der LP „Different Classes“ und der Single „Disco 2000“ einen Hit in England landete, die dem Genre Britpop zuzuordnen ist, was doch für eine gewisse Intelligenz spricht. Sehr bald hatte man das Gefühl, der Tonträger ist der Band eher passiert als geplant, denn Pulp verstanden sich eigentlich immer als nichtkommerzielles Kunstprojekt. Inklusive zwei weiteren Tonträgern, Auflösung, Solokarriere in Paris, unter anderem eine CD mit Charlotte Gainsbourg, kam Jarvis Cocker nun dazu eine Art Autobiographie vorzulegen, die mit „Good Pop Bad Pop“ und dem Untertitel „Die Dinge meines Lebens“ benannt wird.
Gerade der Untertitel trifft das Buch, denn Jarvis steigt auf seinen Londoner Dachboden und macht eine Bestandsaufnahme aus seinem Fundus. Sehr schön zeigt er hier, wer er ist, von wo er kommt und wie er sozialisiert wurde. Zwischen Northern Soul Abenden, Flohmärkte für gepunktete Hemden und sonderbaren Krawatten war natürlich Punk der künstlerische Rettungsanker. Zuvor wuchs er nach der Scheidung seiner Eltern unter Frauen auf und studierte Kunst wie seine Mutter. So ist es auch nicht schwer zu verstehen, dass die Biographie ganz einfach arty ist und bis zu einem gewissen Grad – wie viele Pulp Lieder – verletzlich und vielleicht kann man es so sagen: eigenbrötlerisch ist.
Die Kisten der Erinnerungen sind randvoll: Auf Skizzen wird viel mit Bleistift geschrieben und gezeichnet, vorsichtig werden Lieder entworfen und langsam wird aus der Musik, die im Wohnzimmer, mit hübschen Tapeten im Hintergrund, entstand, mehr. Langsam wird vorstellbar, dass hier etwas Besonderes entsteht, dass Pulp einmal als Headliner im Festival von Reading auftreten sollten, war spürbar. Schlussendlich geht es eben „um den Traum der wahr wurde“, um hier den Musiker zu zitieren, nachdem die Band eine LP für die BBC Radio 1 Show von John Peel aufnahm.
Bei Pulp hatte man manchmal das Gefühl, die Covergestaltung vom Album sei ihnen ein bisschen wichtiger als der Inhalt selbst, vor allem, wenn man als Hörer eher enttäuscht war. Anders verhält es sich mit der Bio, sie kann man zum Gesamtkunstwerk Pulp durchaus ernstzunehmend hinzufügen, vielleicht in einer ähnlichen Art wie bei Nick Caves literarischem Output. Liest man „Good Pop Bad Pop“, hört man den Autor quasi mitlesen, was sehr stark für die persönliche Note des Buches spricht. Das Buch sollte für Fans einer Rock-Dekade Musik durchaus den richtigen Platz im Regal haben. Dass sich Pulp für einige Konzerte im Jahr 2023 wiedervereinigt haben, sollte dennoch als Glücksfall gewertet werden, es rundet das Gesamtkunstwerk ab.
Es geht auch rockiger
Bobby Gillespie, so mancher wird ihn noch aus der Zeit mit Primal Scream und ihrem Rave-Klassiker „Loaded“ kennen, ist jetzt die Rock-Variante der Musiker-Bios, also ein wenig das Gegenteil. Er ist mit seiner literarischen Wegbeschreibung mehr an den Songs seiner Jugend und auch an seinen eigenen Liedern orientiert, ist immer mächtig cool und bekam eigentlich selten eine Tachtel, was doch verwunderlich ist, bei dem eher schmächtigen, jedoch frechen Bürschchen. Aber egal, hier wurde eben die Rock-Pose literarisch manifestiert, schön vor allem, seine ersten Jahre in Glasgow, inklusive der Fotos aus den damaligen Arbeitersiedlungen. Im Hintergrund bleibt seine Musik stark spürbar – mehr Rock und weniger Kunst, das muss kein Nachteil sein, hängt eben von der Tagesverfassung des Lesers ab.

Tenement Kid
Bobby Gillespie, Heyne Hardcore, 519 Seiten