„Ich wollte ihr Leben im Nachhinein retten“

Kultur / 19.04.2023 • 19:10 Uhr
Schreiben bedeutet für Hermann, seinen inneren Bildern zu folgen. VN/RP
Schreiben bedeutet für Hermann, seinen inneren Bildern zu folgen. VN/RP

Wolfgang Hermann liest heute im Theater Kosmos in Bregenz aus „Bildnis meiner Mutter“.

BREGENZ, ISRAEL Leben retten – da tauchen vor dem inneren Auge zu allererst weiß bekittelte Ärzte, Rettungssanitäter in roter Dienstkleidung oder Feuerwehrleute in Schutzanzügen auf. Dass auch ein Schriftsteller ein Rettender sein kann, dafür sind die Werke von Wolfgang Hermann bekannt. Berührende Erzählungen, eine poetische Sprache und mit dem Bewusstsein, dass alles gut werden kann. „Literatur, die wie ein Stützverband um die kaputten Stellen gelegt wird“, nannte ein Literaturkritiker diese besondere Versönlichkeit, die in „Bildnis meiner Mutter“ mitschwingt.

 

Warum war es Ihnen ein Bedürfnis über Ihre Mutter zu schreiben?

Hermann Ich habe den Kampf meiner Mutter um Bewegungsfreiheit hautnah miterlebt. Ich habe ihren Mut bewundert, mit dem sie trotz aller Ausweglosigkeit immer wieder mit einem Lächeln aufgestanden ist. Das hat mich beeindruckt und ich wollte ihr in Liebe ein kleines Denkmal setzen. Mehr noch: Ich wollte ihr Leben im Nachhinein retten.

 

Sie versuchen immer, Ihre Figuren zu retten. Warum ist Ihnen das ein Anliegen?

Hermann Ich feiere nicht den Untergang, ich zelebriere nicht die Ausweglosigkeit des Lebens. Ich spreche in meinen Büchern zwar auch von den Abgründen des Lebens, aber ich liefere meine Figuren ihnen nicht aus Laune aus. Ich zeige ihren Kampf ums Gleichgewicht, ohne zu verschweigen, dass wir alle Seiltänzer ohne Netz sind.

 

Sie waren in Israel, als ich Sie um das Interview bat. Da fiel mir ein, dass Sie einmal sagten, im Unterwegssein zu wohnen. Waren oder sind Sie deshalb lange Zeit auf der Suche nach dem Ort, an dem Sie leben wollen?

Hermann Zum Reisenden wurde ich aus Neugier. Die Welt da draußen ist groß und so vielfältig. Ich wollte nicht nur meine vier Wände kennenlernen. Ich bin nur bedingt Siedler, ich muss immer wieder aufbrechen, um frischen Wind zu spüren.

 

Bedeutet das Wohnen im Unterwegssein auch, sich selber immer wieder neu erfinden zu können?

Hermann Schreiben bedeutet für mich, meinen inneren Bildern zu folgen, ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Leben ist Bewegung, und im Aufbrechen kann eine eigene Leichtigkeit liegen. Aber auch die Rückkehr ist schön, wenn sie nicht Stillstand bedeutet.

 

Inzwischen verbringen Sie auch viel Zeit in Wien?

Hermann Wien war für mich schon als Student die selbstverständliche Stadt. Nach der Waldheim-Affäre ging ich ins Ausland, doch ich kehrte immer wieder in die Stadt zurück, vor allem meiner alten Freunde wegen. Ich bin sehr gerne in Wien, wenn auch die langen dunklen Winter eine Herausforderung sind und ich immer wieder dem Licht entgegen entfliehe.

 

Sie sind selbst Vater. Was für ein Vater wollen Sie für Ihren Sohn sein?

Hermann Ich möchte meinem Sohn vor allem Liebe geben, Zärtlichkeit und Ermutigung. Ich glaube, davon kann ein Kind nie genug bekommen.

 

Woran schreiben Sie derzeit? Worauf dürfen sich Ihre Lesenden freuen?

Hermann Im Herbst erscheint mein Buch „Der Garten der Zeit“. Darin entwerfe ich einen schwebenden, mehrdimensionalen Garten, ein Kaleidoskop aus Farben und Formen. Timna Brauer hat dazu wunderbare Zeichnungen gemacht. Außerdem wartet ein neues Theaterstück auf seine Uraufführung. Und gerade bekam ich die Nachricht, dass im Herbst auch noch meine Erzählung „Beduinen in Wien“ im Literatur Quickie Verlag in Hamburg erscheinen wird.

 

Und wird es ein neues Kinderbuch von Ihnen geben?

HermannJa, „Der Junge, der Wörter sammelte“ wird voraussichtlich 2024 erscheinen.

 

Sie haben im Zusammenhang mit dem Gastlandauftritt Österreichs auf der Leipziger Buchmesse im Literaturhaus Wiesbaden gelesen. Werden Sie auch in Leipzig präsent sein?

Hermann Mein Gastlandauftritt war in Wiesbaden, nach Leipzig werde ich nicht fahren. Ich werde stattdessen am Schreibtisch sitzen. CRO

„Ich wollte ihr Leben im Nachhinein retten“

Zur Person

Wolfgang Hermann

Geboren 1961 in Bregenz

Wohnort meist Wien

Familie ein Sohn

Studium Philosophie und Germanistik

Beruf seit 1987 freier Schriftsteller

Auszeichnungen, Nominierungen, Preise zahlreiche Preise, darunter Jürgen Ponto Preis, Anton Wildgans Preis, Förderpreis zum Staatspreis der Republik Österreich

Tipp Buchpräsentation Wolfgang Hermann „Bildnis meiner Mutter”, Donnerstag, 20. April, 19.30 Uhr im Theater Kosmos in Bregenz, Moderation: Jürgen Thaler, eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Franz-Michael-Felder-Archiv der Vorarlberger Landesbibliothek

Wolfgang Hermann: Bildnis meiner Mutter. Czernin Verlag, Wien 2023, Hardcover, 120 Seiten, ISBN: 978-3-7076-0788-8, 20 Euro