Ein Thriller mit Entwicklungspotenzial

Kultur / 21.04.2023 • 19:08 Uhr
Seventeen,John Brownlow, Rowohlt, 395 Seiten

Seventeen,

John Brownlow, Rowohlt, 395 Seiten

Manchmal gibt es Inhalte, die einen im ersten Moment gar nicht so sehr mitreißen, aber auch Bücher haben Entwicklungschancen.

Thriller In John Brownlows Thriller geht es um das turbulente Leben eines Auftragskillers. Seventeen, so heißt der namenlose Killer, kommt dann zum Zug, wenn die Diplomatie auf der Strecke bleibt. Sein Auftraggeber, ein Syndikat, bleibt im Hintergrund, die Drecksarbeit erledigt der Killer. Die Konten des Syndikats sind wohlgefüllt. Seventeens direkter Auftraggeber, Mr. Handler, lebt quasi im Paradies, hat Frau, Kinder, einen Weinberg mit Bioanbau und will nach Möglichkeit nur eines, ruhige Abende. Das geht jedoch nur, wenn seine Profis spuren, dem ist jedoch nicht immer so. Sixteen verschwand zum Beispiel spurlos, und schreibt von einem geheimen Ort aus Thriller, die viel mit seinem Leben als Auftragskiller und seinem Erlebten zu tun haben. Zum Leidwesen seines Auftraggebers, der zähneknirschend akzeptieren muss, dass sein einstiger Mann fürs Grobe ihm auf der Nase herumtanzt. Zurück zu Seventeen. Er ist nun schon über 30 und zeigt sich leicht amtsmüde: Einer Gegnerin hatte er zu einer zweiten Chance verholfen, bevor er sie risikoreich aus dem Weg räumen musste. Handler wittert Gefahr, nicht noch einmal will er sich vor den Hintermännern Blöße geben müssen. Dazu hat er eine Bombenidee: Seventeen soll allen beweisen, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört und Sixteen aus dem Weg räumen. Ein Showdown beginnt, nicht ohne Überraschungsmomente, denn auch Killer sind bekanntlich keine herzlosen Maschinen. Der menschliche Auftragskiller – das ist wahrscheinlich die einzige Schwachstelle in John Brownlows Thriller. Prinzipiell sind sie psychopathische Naturen, ansonsten könnten sie den Job nicht ohne Skrupel hochprofessionell erfüllen. Das macht auch weiter nichts, werden so die Urängste der Leser animiert. Zurück zum Roman: Brownlow kann sehr vielseitig unterhalten, kommuniziert mit seinen Lesern immer wieder auf Augenhöhe und der gelernte Drehbuchautor weiß, wie er Spannungsbögen erzeugen kann, ohne unglaubwürdig zu klingen. Die Geschichte läuft wie geschmiert, es brodelt unter der Oberfläche und John Brownlows eindringlicher Stil lässt vieles glaubhaft erscheinen. Dass auch Auftragskillerinnen die Wege von Seventeen kreuzen macht in der Welt von heute durchaus Sinn. Man hört, dass nun eine Verfilmung des Stoffs ins Haus steht und der Roman eine Serie werden sollte. Der Erfolg spricht für sich, jedoch muss nicht alles eine Serie werden, was funktioniert.

Vergangenheit trifft Fiktion

Der belarussische Autor Sasha Filipenko, der für historische Krimis wie „Rote Kreuze“ und „Die Jagd“ bekannt ist, wagt sich mit seinem neuen Roman „Der Kremulator“ in das Russland des frühen 20. Jahrhunderts und wohnt einem für jene Zeit üblichen Verhör eines vermeintlichen Staatsfeindes bei. Genauer gesagt geht es um den ehemaligen Soldaten, Piloten und Direktor des Moskauer Krematoriums Pjotr Iljitsch Nestrenko, der verdächtigt wird, während des Zweiten Weltkriegs Spionage für russlandfeindliche Organisationen betrieben zu haben. Nestrenkos Laufbahn ist für den Ermittler Pawel Perepeliza ein gefundenes Fressen, denn Nestrenko stammt aus adeligem Hause, diente sowohl der Kaiserlichen als auch der Weißen Armee und war Pilot in der Ukraine. Er suchte in der Türkei Asyl, wagte einen Neubeginn in Warschau und Sofia und landete schließlich als Taxifahrer in Paris. Einige Jahre später kehrte Nestrenko in die Sowjetunion zurück und errichtete gemeinsam mit deutschen Experten das erste Krematorium Moskaus. Filipenko, der die Originalprotokolle des Verhörs in Romanform umwandelte, gelingt es, Vergangenheit und Fiktion zu verschmelzen. Neben der detaillierten Darstellung von Verhörtaktiken kreiert Filipenko einen scharfsinnigen Nestrenko, der sich seinen Tod ausmalt, trotz aller Kälte jedoch seinen Humor nicht verliert.

Der KremulatorSasha Filipenko, Diogenes, 255 Seiten

Der Kremulator

Sasha Filipenko, Diogenes, 255 Seiten