Ganz nahe an der Vollendung

Kultur / 25.04.2023 • 20:30 Uhr
Lisa Batiashvili gilt weltweit als eine der Top-Interpretinnen ihres Faches. Udo Mittelberger
Lisa Batiashvili gilt weltweit als eine der Top-Interpretinnen ihres Faches. Udo Mittelberger

Die Geigerin Lisa Batiashvili machte Beethovens Violinkonzert zum glanzvollen Ereignis.

BREGENZ Es wurde ein großer, denkwürdiger und auch etwas merkwürdiger Abend mit zwei verschiedenen Hälften, dieses fünfte in der Reihe der Bregenzer Meisterkonzerte am Montag. Aufgeboten war das exzellente Chamber Orchestra of Europe, Beethoven war der Mann des Abends. Er eröffnete mit einem Konzert und beschloss mit einer Ouvertüre. Dazwischen freilich geriet das Publikum im vollbesetzten Festspielhaus in ein Wechselbad der Gefühle, das von einem an Raserei grenzenden Jubel in der ersten Hälfte bis zu deutlich abgeflachter Begeisterung am Schluss reichte. Wie kam das?

Eine gute Idee war es jedenfalls, dieses Konzert des zweifellos großartigen Orchesters mit einem ebenso großartigen Werk Beethovens einzuleiten, seinem singulären Violinkonzert, auch wenn dieses Werk erst vor wenigen Tagen in der Abo-Reihe des SOV mit dem dirigierenden Solisten Alexander Janiczek hier zu hören war. Im besten Fall konnte man aus dieser Programm-Doublette immerhin einen Interpretationsvergleich für Feinspitze ableiten, speziell im Solobereich mit der georgisch-stämmigen Geigerin Lisa Batiashvili als einer der weltweiten Top-Interpretinnen ihres Faches, die nun am Werk war.

Lisa Batiashvili

In ihrer unaufgesetzten Demut und Feinsinnigkeit lässt sie keinen Zweifel daran, dass in diesem Werk das Konzertante vor dem Virtuosen Vorrang hat. Ihr makellos sauberes, sinnliches Spiel, der blühende Ton auf ihrer Guarneri von 1739 bis in höchste Lagen wird getragen von diesem internationalen, demokratisch geführten Projektorchester mit dem Kürzel COE, bei dem jeder ein Solist ist und jeden Abend um seinen Platz an der Sonne kämpfen muss. Robin Ticcati, der junge Brite mit italienischen Wurzeln am Pult, führt seine Musiker oft recht ungestüm, mit der Solistin hingegen gibt er sich handzahm. Es ist wie ein Flirt, wie er in dem an der Grenze zur Hörbarkeit angesiedelten zweiten Satz mit ihr Aug in Aug eng verbunden ist und aus diesem Kontakt Wundersames entsteht.

Pure Lebensfreude

Die beiden Kadenzen, die der Zeitgenosse Alfred Schnittke 1977 dazu erfunden hat, rücken das Werk mit aufgerauter Angriffslust unmittelbar in unsere Zeit, das Rondo zum Finale wird zur puren Lebensfreude. Das Werk gelingt aus diesem Miteinander auf einem Level, der nahe an der Vollendung angesiedelt ist. Nach diesem bejubelten Klassik-Blockbuster möchte man am liebsten heimgehen, denn es ist alles gesagt, und besser kann es auch nicht mehr werden. Und wirklich gleitet der Abend im zweiten Teil in den Rang eines Gemischtwarenladens ab, in dem übergangslos Romantik und Moderne stilübergreifend auf Teile aus Beethovens Musik zu Goethes Schauspiel „Egmont“ treffen und als zweites Generalthema die Liebe noch rasch mit eingeflochten wird.

Das reicht bis zu einem von acht Instrumenten gespielten „Liebeslied“ des zeitgenössischen Komponisten und Klarinettistin Jörg Widmann, das sich durch seine Wurzeln gut einfügt und der toughen blonden Percussionistin spannende Aufgaben zuweist. Auch wenn sich zuvor Bettina Barnay-Walser in ihrer Einführung noch so kompetent bemüht hat, in diesem halbstündigen Endlos-Potpourri Strukturen und Anknüpfungspunkte zu Beethoven aufzuzeigen, bleibt beim Publikum doch ein schales Gefühl der Unverdaulichkeit. Dennoch: Es war ein großer Abend! JU

Letztes Meisterkonzert der Saison: 27. Mai, 19.30 Uhr, Festspielhaus – Hélène Grimaud, Klavier