„Ich arbeite an mir, bis ich die beste Version meiner selbst bin, die ich nur sein kann“
Eine amerikanische Sängerin spricht im Fernsehen über ihr Leben. Viele Jahre ist es her. Nachdenklich sagt sie: „Ich arbeite an mir, bis ich die beste Version meiner selbst bin, die ich nur sein kann.“ Augenblicklich macht es Klick. Es blitzt etwas in mir auf. Das ist es, was ich möchte. Das ist es, was Sinn für mich ergibt. Dieser Satz geht in mich über. Nicht stehen bleiben. Weiter laufen und immer weiter. Mich selbst schälen wie eine Zwiebel. Schale um Schale. Maske um Maske. Vieles möchte von mir abfallen. Alles Störende. Alles Blockierende. Ich kippe meinen Rucksack aus und trenne mich von all dem, was nicht zu mir gehört. Was ich mit mir herumschleppe, das wundert mich. Mit den Jahren wird es so leichter für mich zu leben. Ich gehe meinen Weg gelöster und ausgeglichener. Nichts war umsonst. Jede Niederlage diente meiner Entwicklung, jeder Sturm, jedes Gebeuteltwerden. Das Leben geht weiter, komme, was mag. Der Motor läuft. Mein Lebensmotor. Unaufhaltsam. Das einst so scheue Vögelchen verspürt große Lust auszufliegen. Ein Kribbeln und Krabbeln im Körper. Wer hätte es gedacht?
Sarah Hilbrand, geboren 1984 in Bludenz, lebt und schreibt in Bürs.
Es beginnt mit dem ersten Augenaufschlag, Beine hoch, Morgengymnastik, duschen warm und kalt – für den Kreislauf, mit dem Reibe-Schwamm Hornhaut entfernen, Bodylotion wirkt Cellulite entgegen, Deo ohne Aluminiumsalze, dafür mit Zink, Gesichtscreme teuer, aber Antifalten, grüner Smoothie, Ordnung schaffen, mit dem Fahrrad ins Büro, Lächelgesicht aufsetzen, Telefonate und Zettelfluten mit links, eine Tasse grünen Tee ohne Zuckerzusatz – Antioxidantien, Mittagessen kochen – Bio, regional, saisonal, in der Schule mit Kindern lesen, Wortschatz vergrößern, Geschichten erfinden, 1×1 üben, waschen, bügeln – nur nicht verknittert erscheinen, Spaziergang – Frischluft und Vitamin D tanken, Liedtexte auswendig lernen – Gedächtnistraining, Chorprobe – singen ist gesund und gesellig, später im Bett erkennen, dass die beste Version meiner selbst ganz was anderes wäre.
Astrid Spiegel-Vetter, geboren 1963 in Lustenau, wohnt in Dornbirn und schreibt dort.
Heute bin ich dagegen, heute wehre ich mich, heute will ich nicht. Was ist die beste Version meiner selbst? Wer entscheidet das? Wenn ich die anderen entscheiden lasse, bin ich nie die beste Version, weil immer jemand etwas auszusetzen hat. Wenn ich entscheide, erreiche ich das Ziel mit Sicherheit auch nie. Es ist doch in uns angelegt, zu streben, zu optimieren. Ergießt sich die Zufriedenheit wie ein sanfter Frühlingsregen über uns, dann dauert das Durchatmen meist nur einen Wimpernschlag, bevor sich die Angst vor dem Donner einschleicht. Das ist doch das Leid unseres menschlichen Daseins, die Spitze der Bedürfnispyramide niemals zu erreichen.
Ich würde morgens gerne eine halbe Stunde früher aufstehen und in dieser Zeit Morgenseiten schreiben und Yoga machen. Realistisch gesehen müsste ich bei meiner Geschwindigkeit eine Stunde früher aufstehen, um das hinzubekommen. Hätte ich das geschafft, würde ich mir denken: Abends kein Fernseher, nur Bücher, weil das ist es eigentlich, was ich gerne leben möchte. Aber Film schauen gefällt mir zuweilen gut und Bücher sind manchmal auch einfach nur vollgeschriebene Seiten. Ja, und wenn ich schon dabei bin, würde ich gerne mehr Arbeitspensum in kurzer Zeit schaffen, cool sein und niemals Schwierigkeiten haben. Dann hätte ich noch gerne einige Stunden am Tag, um sie mit Langeweile zu füllen. Bin ich immer noch beim Optimieren? Ist optimieren nicht einfach ein Prozess des Lernens, ein Balanceakt zwischen was ich leisten kann und was ich leisten will, damit ich nicht nur am Ende des Lebens, sondern möglichst oft zufrieden zurück und nach vorne schauen kann. Ein Zulassen der Unvollkommenheit, weil darin die Überraschungen des Lebens versteckt liegen, die kleinen Freuden, die die Summe der Glücksstunden ausmachen.
Ich weiß es nicht.
Ruth Mairvongrasspeinten lebt und arbeitet als Lehrerin und Schreibpädagogin in Feldkirch.
Sie stieß die Türe auf und trat hinaus auf den Bürgersteig. Es war ein wunderbarer Apriltag. Noch glänzte der Asphalt vom zuvor gefallenen Regenschauer, dunkle Wolken hingen am Himmel und strahlend warm warf die Sonne einen Regenbogen am Horizont.
So strahlend wie die Sonne und glänzend wie der nasse Asphalt waren ihre Augen. Dunkel auch hatten sie unter sich Schatten getragen. Aber das war nun vorbei.
Sie ging Schritt für Schritt, wählte ihren Weg mit Bedacht und zielgerichtet den neuen Horizont.
Sie war bei sich angekommen.
Ruth Kanamüller, geboren 1964, lebt in Fußach, arbeitet für das Radio, im Gemeinschaftsgarten und immer wieder an sich.