Der Professor und der Wolf

Kultur / 02.06.2023 • 18:28 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Armin Wolf und Peter Filzmaier nehmen sich in ihrem Buch das politische System in Österreich vor. Gianmaria Gava
Armin Wolf und Peter Filzmaier nehmen sich in ihrem Buch das politische System in Österreich vor. Gianmaria Gava

Peter Filzmaier und Armin Wolf im VN-Interview über ihr Buch „Das 1 x 1 der österreichischen Politik“.

Lügen Politiker?

Wolf Politiker gehen mit der Wahrheit oft selektiv um. Und erzählen lieber den Teil der Wahrheit, der ihnen nützt. Sie sind Interessenvertreter und erzählen jenen Teil der Wahrheit, der ihren Interessen dient.

Filzmaier Da kommunikationspsychologische Studien belegen, dass Menschen bis zu zweihundertmal am Tag die Unwahrheit sagen – nett gemeinte falsche Komplimente natürlich eingeschlossen –, glaube ich nicht, dass die Berufsgruppe der Politiker hier besser ist.

Was ist das wirksamste Mittel, um Lügen zu entlarven oder Politiker für ihre Aussagen zur Rechenschaft zu ziehen?

Filzmaier Politische Bildung! Ich weiß nicht, ob das bei ganz raffinierten Lügen hilft, aber um beispielsweise plumpe Inszenierungen, Halbwahrheiten, bewusstes Verschweigen zu entlarven, da ist eine solide Basis an politischer Bildung für alle Bevölkerungs- und Wählergruppen das Beste.

Wolf Bei Journalisten ist es Vorbereitung und gute Recherche. Auch Faktenchecks. Das Problem ist nur, dass das bei manchen Politikern keine Rolle spielt: Donald Trump hat in den vier Jahren seiner Präsidentschaft nachweislich über 30.000 Mal öffentlich die Unwahrheit gesagt. Und seine Wähler hat das nicht gestört. Ein amerikanischer Journalist hat den klugen Satz gesagt: Donald Trump ist ein Gefühl, und wenn man dieses Gefühl hat, dann spielen Fakten keine Rolle mehr. Dann gehört das Lügen quasi zum Geschäft und stört niemanden mehr. Das wird dann zu einem echten Problem.

Der Podcast, aus dem dieses Buch entstand, ist ja aus dem Dilemma heraus entstanden, dass die Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl alles Mögliche und Unmögliche versprochen haben. War der Podcast also reine Notwehr?

Wolf Nicht Notwehr, sondern Hilfestellung, und öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag. Wir haben uns gedacht, vielleicht sollten wir vor der Wahl mal erklären, was der Bundespräsident darf und was nicht. Und weil wir schon dabei sind, beschäftigen wir uns auch gleich mit Themen wie Regierung, Parlament, Parteien, Sozialpartnerschaft etc.

Filzmaier Bei der Auffassung, was der Bundespräsidenten darf und was nicht, reicht die Palette der Klischees von Halbwahrheiten vom Superchef Österreichs bis zum einfachen Frühstücksdirektor oder Staatsnotar. Wenn das Basiswissen gering ist, spielen manche Kandidaten völlig schamlos mit diesem Halbwissen und verkünden Dinge, was sie alles machen könnten, auch wenn diese mit den Aufgaben und den Kompetenzen des Bundespräsidenten nichts zu tun haben.

Ist die Demokratie zu selbstverständlich geworden?

Wolf Ich bin Jahrgang 1966 und hätte nicht geglaubt, dass wir uns in Europa nochmal Gedanken machen müssen, ob die Demokratie als Staatsform am Ende ist. Wenn man zum Beispiel nach Ungarn blickt, wenn man sich anschaut, was teilweise in den USA passiert, dann muss man sich wirklich diese Sorgen machen.

Warum möchte der Bundeskanzler an der Neutralität nicht rütteln?

Filzmaier Seit es die Neutralität gibt, lag die Zustimmung nie unter zwei Drittel, meistens sogar über drei Viertel. Und gerade in Krisensituationen, wie wir sie jetzt haben, steigt diese Zustimmung auf über 90 Prozent. Und damit ist das Thema aus politstrategischen Gründen zumindest für die großen Parteien völlig sakrosankt und es wird ignoriert, dass die Neutralität spätestens in den 1990er-Jahren mit dem Ende des Kalten Krieges und dem EU-Beitritt zumindest einen tiefgreifenden Wandel erfahren hat. Der Doyen der österreichischen Politikwissenschaft, Anton Pelinka, hat die Neutralität einmal als den prominentesten Untoten Österreichs bezeichnet. Sie existiert jedoch schon lange nicht mehr, wie sie von 1955 bis 1990 durch den Ost-West-Konflikt geprägt wurde und einmal war.

Zum Föderalismus: Ist Österreich nicht ohnehin zentralistisch genug?

Wolf Eine für manche vielleicht überraschende Erkenntnis aus dem Buch könnte sein, dass Österreich zentralistischer ist, als man es oft vermutet. In den Medien hören wir zum Beispiel immer wieder von der Landeshauptleutekonferenz. Die existiert in der Bundesverfassung gar nicht. Gleichzeitig gibt es viele Kompetenzen, die man einfach nicht versteht. Zum Beispiel im Gesundheitssystem, wo wirklich absurd ist, wie viele verschiedene Träger es gibt und wo man auch fragen könnte, warum man das nicht zentral organisieren kann. Überhaupt: Gesundheitsminister in Österreich ist aufgrund der Kompetenzverteilung ein absolut unmöglicher Job. Wenn man heute Sisyphos erfinden würde, dann wäre er Gesundheitsminister in Österreich.

Ein Kapitel des Buches ist den Medien gewidmet. Sind Medien und Politik in Österreich zu sehr verhabert?

Wolf Österreich ist zu sehr verhabert, aber Österreich ist heute viel weniger verhabert als vor 20, 30, 40 Jahren. Man vergisst das ein bisschen in der Diskussion, aber das war alles viel, viel schlimmer, als ich in den Journalismus eingestiegen bin. Ein Großteil der Innenpolitikjournalisten kam aus Parteizeitungen und Parteipressediensten, auch im ORF. Da gab es Freundschaften, private Beziehungen zwischen Politikern und Journalisten, die heute fast undenkbar sind. Das hat sich dramatisch verbessert, aber es ist immer noch nicht sauber und distanziert genug.

Alles hat heute einen „Spin“ – jeder Information wird ein Drehbuch unterstellt. Ist alles in der politischen Kommunikation heute tatsächlich so strategisch?

Filzmaier Wir überschätzen die strategische Planungsfähigkeit der politischen Parteien, da passiert viel mehr nach Emotionen, nach Eigendynamik, auch nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. In den 90er-Jahren begann eine Professionalisierung, wie mache ich einen Fernsehauftritt, wie plane ich Themensetzung etc. Irgendwann ist dieser Spin allerdings immer mehr überdreht worden, bis hin zum Aberglauben „anything goes“. Das ist jetzt wieder deutlich weniger geworden.

Herr Wolf, wann haben Sie das letzte Mal etwas über Peter Filzmaier gehört, das Sie überrascht hat?

Wolf Bei der Aufzeichnung einer Büchersendung habe ich letzthin erfahren, dass Peter Filzmaier eine hohe Agatha-Christie-Expertise hat, womit ich nicht gerechnet hätte.

Filzmaier Zuletzt, um dieselbe Frage an mich vorwegzunehmen, habe ich etwas Neues von Armin Wolf bei einem gemeinsamen Auftritt mit Martin Grubinger im Wiener Konzerthaus erfahren, wo Armin Wolf eine Detailkenntnis der Fußballergebnisse von Anif gezeigt hat, die ich nicht annähernd hatte. Aber ich gehe davon aus, dass er akribisch recherchiert hat, aus dem Stegreif war das nicht.

Wolf Wir sprechen aber nur über die Saison 1978, als Anif ein Jahr lang in der zweiten Liga spielte.

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass der jüngere Peter den älteren Armin an der Uni unterrichtet hat?

Wolf (lacht) Indem ich sehr lang studiert habe und Peter Filzmaier schon sehr jung unterrichtet hat.