„Nowodewitschi 1979“ – ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte

Interview mit Johann Marte zu seinem “Autobiographischen Roman in Europa zwischen Ost und West”.
Feldkirch Johann Marte wurde am 2. Mai 1935 in Feldkirch geboren und begann nach dem Studium als Untersuchungsrichter in Feldkirch und Bezirksrichter in Bregenz, bevor es ihn als Diplomat von Wien über Polen bis in die damalige Sowjetunion verschlägt. Er trifft russische Systemkritiker wie Lew Kopelew, begleitet Ingeborg Bachmann auf ihrer Polenreise und lernt viele in Ungnade gefallene Künstler und auch berühmte Persönlichkeiten wie Michael Gorbatschow, den Musiker Wladimir Wyssozki und den Dissidenten Andrei Sacharow kennen. Nach seiner Rückkehr wird er Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek.

Nun hat Johann Marte seine Autobiographie verfasst, ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte zwischen Weltpolitik, Kulturpolitik und aufregendem Lebensbericht, die er am Freitag, 3. November, im Saumarkt präsentieren wird. Eingebettet wird die von Thomas Matt moderierte Lesung in Live-Musik.
Sie sind Jurist, waren Spitzendiplomat im Ausland und hatten in Österreich wichtige Positionen inne. Was waren Ihre Beweggründe Österreich zu verlassen und ins Ausland zu gehen?
Ich wollte den Osten Europas kennenlernen und damit den Weg meines Vaters gehen, der in der Gefangenschaft nach Sibirien gebracht wurde.
Sie waren Leiter des Kulturinstituts in Warschau, das als „Härteposten“ eingestuft war.
In Warschau wurde ich von vielen mit dem Satz begrüßt: Sie befinden sich hier in einem Teil des Westens. Darauf waren sie stolz. Oft hörte ich den Satz: Wir sind in erster Linie Polen und gehören erst in zweiter Linie einer Partei an. Das kulturelle Leben war sogar lebendiger, als wir es zu der Zeit in Wien erlebt hatten.

Sie haben 1973 Ingeborg Bachmann auf ihrer Lesereise durch Polen begleitet, Peter Handke nach Warschau eingeladen.
Besonders stark war das Interesse an Ingeborg Bachmann, vor allem deshalb, weil ein Teil ihrer Texte bereits übersetzt worden waren. Die Bedeutung von Peter Handke wurde erst später erkannt.
Später wurden Sie nach Moskau berufen, haben dort auch Beziehungen zur sowjetischen Künstlerszene aufbauen können, die von Zensur und Unterdrückung geprägt war.
Wir hatten die Zensur einfach unterlaufen und öffentliche Vorbehalte hatte ich einfach „übersehen“. Die Neutralität Österreichs mag ein Grund gewesen sein, warum sie diese Vorgangsweise duldeten.

Worauf bezieht sich der Buchtitel„Nowodewitschhi 1979“ ?
Nowodewitschi (Neue Jungfrauen) ist der Name eines Klosters in Moskau. Nach dem Kreml ist es der bedeutendste Gebäudekomplex des historischen Moskau. Nowodewitschi mit ihren Friedhöfen war ein gesuchter Treffpunkt von Leuten, die uns nicht öffentlich begegnen wollten. Und 1979 war das Jahr, als ich vom KGB vorgeladen wurde.
Ab 1993 bis 2000 waren Sie Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek. Sie haben nicht nur viele wichtige Initiativen gesetzt, sondern auch sehr prominente Gäste wie Hillary Clinton, Papst Johannes Paul II., Jacques Chirac, Michail Gorbatschow oder den damaligen chinesischen Präsidenten Jiang Zemin in der Nationalbibliothek begrüßt. Gibt es eine besondere Begegnung, die sich exemplarisch herausgreifen lässt?

Papst Johannes Paul II. war bereit, eine Buchpatenschaft zu stiften, was uns sehr freute und mit Michael Gorbatschow hatte ich ein umfangreiches Gespräch über den Beginn der Perestroika geführt.

Nach Ihrer Pensionierung wurden Sie von Kardinal Schönborn gebeten, die Stiftung Pro Oriente zu übernehmen, die sich dem interkonfessionellen Dialog widmet. Was sehen Sie heute als die großen Herausforderungen in diesem Bereich?
Die Ökumene ist eine aktuell wichtige Herausforderung der christlichen Kirchen und ein von Jesus Christus vorgegebenes Ziel seiner Sendung.
Lesung mit Musik
Fr. 3. Nov. 2023, 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt
Johann Marte: Nowodewitschi, 1979 – Autobiographischer Roman in Europa zwischen Ost und West