Verena Konrad

Kommentar

Verena Konrad

Das Labor der Zukunft

Kultur / 09.11.2023 • 20:07 Uhr

Der Herbst in Venedig. Milde Temperaturen, weniger Reisende und dieses unglaubliche Licht, das schon Maler wie Tiepolo einfingen – gebrochen im Nebel, der zu dieser Jahreszeit oft wie ein magischer Schleier über der Stadt hängt. Ich nütze diese Zeit immer wieder, um die Biennale, für mich ein beruflich wichtiger Ort, ein zweites Mal zu besuchen. Nach dem Trubel der Eröffnungstage im Mai mit den vielen Begegnungen mit Kolleg:innen, Künstler:innen und Architekt:innen sind die Areale der Biennale, die Giardini (die Gärten) und das Arsenale (ein ehemaliges Zeughaus bzw. eine Flottenbasis) dann ideal für das konzentrierte Schauen. Dieses Schauen lohnt sich heuer besonders, denn die Architekturbiennale, die heuer noch bis 26. November stattfindet, ist ein unvergleichlicher Ort der Inspiration – vielfältig, bunt, ein Sammelsurium der Positionen, ein Hort für Entdeckungen. Letzterem wurde sie für mich mit der ihrem Fokus auf afrikanische Positionen heuer in besonderem Maße gerecht.

Seit 1893 findet die Kunst-Biennale in Venedig statt, als Weltausstellung der Künste und damit als Pendant zu den technik­orientierten Weltausstellungen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa und den USA und später auch in Kanada stattfanden. Der Fokus auf diese Länder zeigt bereits die westliche Orientierung der sogenannten „Weltausstellungen“, die die Biennale di Venezia als Mutter aller Kunstbiennalen schon seit einer Weile bricht. Die seit den 1970er Jahren stattfindende Architekturbiennale hatte diesbezüglich bisher deutlichen Nachholbedarf. Denn auch wenn die vielen Nationenpavillons den globalen Diskurs schon immer nach Venedig brachten, so war die Hauptausstellung – je von einer ernannten Persönlichkeit kuratierte und themengebende Schau doch nach wie vor eine stark von westlichen Ansätzen dominierte Sache.

Mit der Hauptausstellung „Das Labor der Zukunft“ hat Lesley Lokko heuer als Kuratorin ein wunderbar weites Feld geöffnet, das neben den großen Themen unserer Zeit – Dekarbonisierung und Dekolonisierung, auch das Thema der Kooperation und Interdisziplinarität fokussiert und Einblicke in die zeitgenössische Architekturpraxis Afrikas gibt. Geboren 1964 mit ghanaischen und schottischen Wurzeln wuchs Lokko in Ghana auf, studierte Architektur und brachte 2000 ein einflussreiches Buch über Rasse, Kultur und Architektur heraus, das auf ihrer Doktorarbeit beruht. Seit 2004 schreibt sie auch Romane und gründete 2021 in Ghana eine Architekturschule, das „African Futures Institute“.

Die technik- wie materialspezifische Experimentierfreude der zeitgenössischen Architektur in Afrika ist in Venedig das große Highlight und überaus inspirierend. 50 von 89 Beiträgen ihrer Ausstellung stammen von „Praktiker:innen“ aus afrikanischen Staaten. Damit wird schon sichtbar, wie sehr es die Architektur nicht mehr nur an Wissen aus einigen wenigen Disziplinen verlangt, sondern nach einem kulturellen Verständnis des Immateriellen. Lesley Lokko macht dies deutlich, indem sie auch Schriftsteller:innen, Filmemacher:innen und Künstler:innen wie den in Vorarlberg über seine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz gut bekannten Theaster Gates eingeladen hat.

So ist die Architekturbiennale auch heuer mitnichten nur ein Ort für architekturinteressierte Besucher:innen, sondern ein Ort, an dem Technik und Kunst zusammenfinden.

„ Die seit den 1970er-Jahren stattfindende Architekturbiennale hatte diesbezüglich deutlichen Nachholbedarf.“

Verena Konrad

verena.konrad@vn.at

Verena Konrad ist Kunsthistorikerin und Direktorin des vai Vorarlberger Architektur Institut.