Eine Metapher für die Lyrik

Kultur / 27.11.2023 • 16:15 Uhr
Am Samstag fand im Theater am Saumarkt die 21. Auflage des Feldkircher Lyrikpreises statt. Marion Hofer
Am Samstag fand im Theater am Saumarkt die 21. Auflage des Feldkircher Lyrikpreises statt. Marion Hofer

Sabine Göttel, Slata Roschal und Ulrike Titelbach als Gewinnerinnen des 21. Lyrikpreises gekürt.

Feldkirch Vorarlberg ist ein Musterland, was Lyrik betrifft. Dies ist keine positive Selbstdarstellung des Landes, sondern die Ansicht von Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der IG Autoren und Autorinnen. Explizit gemeint ist damit Feldkirch, dass sich in diesem sehr breitgefächerten, aber doch sehr exklusiven Genre durch den 2003 von Erika Kronabitter initiierten Lyrikpreis im deutschsprachigen Raum einen Namen gemacht hat. Das unterstreichen auch die 350 Einreichungen, die es diesmal gab und aus denen die Jury – bestehend aus Vorjahrsiegerin Ann Kathrin Ast, Ferdinand Schmatz, Sophie Reyer und Marie-Rose Rodewald-Cerha – zehn Kandidaten und Kandidatinnen auf die Shortlist setzten.

Stadträtin Natascha Soursos (r.) überreicht den Preis der Stadt Feldkirch an Sabine Göttel (l.).
Stadträtin Natascha Soursos (r.) überreicht den Preis der Stadt Feldkirch an Sabine Göttel (l.).

Knapp am Reim vorbei
Am Samstag wurde im Theater am Saumarkt mit der gebürtigen Homburgerin Sabine Göttel die Preisträgerin der 21. Auflage gewürdigt, die das diesjährige Thema “In einem Zimmer sitzen, das es nicht gibt” als Metapher für die Lyrik selbst interpretierte. Sie hätte als Kunstform die Fähigkeit, neue Welten zu schaffen, da nur einzelne Teile des Dichtens aus der Realität stammen, wie wir sie kennen und erleben.

Lyrikpreis-Initiatorin Erika Kronabitter (r.) verliest anstelle der abwesenden Sophie Reyer die Lautdation für Gewinnerin Sabine Göttel (l.).
Lyrikpreis-Initiatorin Erika Kronabitter (r.) verliest anstelle der abwesenden Sophie Reyer die Lautdation für Gewinnerin Sabine Göttel (l.).

“Bei Göttel schrammt die Lyrik knapp am Reim vorbei, ist Lied und Destillat in einem, zeigt die Regeln dessen, was Poesie ist, auf, um sie richtig brechen zu können”, begründete Jury-Mitglied Sophie Reyer, die nicht persönlich anwesend war. Das Publikum durfte sich gleich über Auszüge aus Göttels Werken erfreuen und bekamen Zeilen wie “du – holzbaron im vorfrühling, türmchen gereckt, terrasse gefelst, maulwürfe entfernt von verstaubter verlässlichkeit, endlich gewendete erde”, aus dem Werk “im pfälzer wald” zu hören.

Landtagspräsident Harald Sonderegger (r.) überreicht an Slata Roschal (l.) den Preis des Landes Vorarlberg.
Landtagspräsident Harald Sonderegger (r.) überreicht an Slata Roschal (l.) den Preis des Landes Vorarlberg.

Depressive Katze
Die Texte der zweitplatzierten gebürtigen Russin Slata Roschal, die damit den Preis des Landes Vorarlberg gewann, verbinden ein Lebensgefühl, das sich nicht festlegen will. “Als etwas Fluides”, bezeichnete sie Jurymitglied Marie-Rose Rodewald-Cerha. “Aufkeimende Sehnsucht nach Sesshaftigkeit oder Glück über ein Zuhause werden vom Wunsch nach Freiheit gestört und in Frage gestellt.” Dass sich die Jurorin in ihren Aussagen auf ein Interview stützt, konterte Roschal jedoch mit der Antwort:

Der Publikumspreis wurde von Erika Kronabitter (r.) an die Oberösterreicherin Ulrike Titelbach (r.) überreicht.
Der Publikumspreis wurde von Erika Kronabitter (r.) an die Oberösterreicherin Ulrike Titelbach (r.) überreicht.

“Lesen Sie keine Interviews. Das ist keine gute Grundlage für eine Laudatio. Mit der Laudatio bin ich nicht ganz einverstanden.” Diese Ambivalenz passt zu den Texten der in Deutschland lebenden Schriftstellerin, in der es um eine depressive Katze, Kaviar oder aufgetaute Larven geht. “Damit mal endlich Ruhe ist, schaltet ein alter Mann die Sauerstoffgeräte seines Nachbars ab. Im gleichen Augenblick beginnt ein Kind bei uns im Hof zu schreien. Ein Nest fällt vom Balkon, ein Marder schafft es nicht dem Auto auszuweichen”, spricht von der Morbidität, die ihrer Lyrik innewohnt.

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Welche Präsenz Lyrik auf der Bühne bekommt, wenn sie live vorgetragen wird, oder welche visuelle Kraft sie auf die Wand projiziert erhält, beeindruckte auch Moderator Gerhard Ruiss. Und noch mehr die still lauschenden Zuhörer im Saal, denen es vorbehalten war, aus den restlichen acht anderen Short-List-Kandidaten den Publikumspreis zu vergeben. Über diesen durfte sich die Oberösterreicherin Ulrike Titelbach freuen, die ihre Aphorismen in Mundart und Hochdeutsch vortrug. 

CRO