Neue Qualität des Musizierens

Sinfonische Weihnacht mit Überraschungspianist eröffnete an der Stella neue Perspektiven.
FELDKIRCH Heuer ist alles anders. Die Sinfonische Weihnacht als Matinee am zweiten Advent, die traditionsreichste Konzerteinrichtung der Stella, ist nicht mehr das, was sie einmal war – ein geschätzter Event, ein gesellschaftliches Muss in familiärem Rahmen mit vertrauten Gesichtern und Inhalten. Heuer dagegen ist dort so etwas wie ein neues Zeitalter angebrochen, ein neuer Geist hat Platz gegriffen, seitdem die Bildungsanstalt vor einem Jahr vom Landeskonservatorium zu den höheren Weihen einer Privathochschule für Musik erhoben wurde.

Das beginnt bei einer Reihe inhaltlicher Neuerungen am Haus, die der vom Direktor zum Rektor beförderte Chef Jörg Maria Ortwein aufzählt, als Wichtigstes die Umsetzung der neu strukturierten Inhalte für die Studierenden.

Der praktische Beweis am lebenden Objekt übertrifft freilich jede Theorie: Damit ist nämlich auch eine neue Qualität des Musizierens eingezogen in dieses über 50-köpfige Kollektiv, das sich nun mit Fug und Recht Hochschul-Sinfonieorchester nennen darf. Etwas also, das den Zuhörern den nötigen Respekt abverlangt, von dem sie aber auch besondere Leistungen erwarten dürfen. Beides ist hier der Fall, und diese Qualität hat auch einen Namen.

Viele Besucher werden sich gedacht haben: „Gott sei Dank, dass der Benni noch da ist, der doch mit einem Bein bereits an der Uni in Graz wirkt!“ Gemeint ist Benjamin Lack, dem in einer konsequenten und doch höchst umgänglichen Aufbauarbeit die Entwicklung dieses Klangkörpers auf das heutige Niveau zu danken ist.

Sein 13. Einsatz heuer wird auch für ihn zu einem besonderen Glücksfall, weil er diese besondere Verbindung zwischen ihm und den Musikern anhand zweier Kaliber der großen romantischen Orchesterliteratur demonstriert, die seiner Ansicht nach jedes Hochschulorchester für die Zukunft einmal gespielt haben sollte: Griegs Klavierkonzert und die Erste Brahms, in der der Komponist so etwas wie eine polyphone „Hohe Schule des Orchesterspiels“ verpackt hat. Lack lässt dieses Werk in seiner exzellenten Schönheit aufblühen, zieht es ohne Forcieren, kraftvoll und zügig durch, entfaltet auch in den vielen schönen Einzelstellen im Horn, den Holzbläsern und mit Konzertmeister Raul Campos große Wirkung. Enorme Anforderungen also, große Vorgaben mit gewaltiger Vorarbeit im Einzelstudium und in den zeitaufwendigen Gesamtproben, die eines erbracht haben: Eine Bewusstseinsbildung für romantisches Orchestermusizieren in einer Spielqualität und Klangkultur, die heute bereits Alltag scheint und ganz nah an der Professionalität eines Berufsorchesters steht.

Es gibt aber noch eine Steigerung. Den wirklichen Geniestreich dieses Vormittags landet man am Beginn mit der Idee, nicht wie bisher ausgewählte Professoren des Hauses als Solisten zu präsentieren, sondern einen relativ neuen Studierenden aus der Ukraine, dem damit Mitleid und Bewunderung gleichermaßen sicher sind.

Der in seiner Heimat ausgebildete und ausgezeichnete junge Mann mit dem Namen Mykola Myroshnychenko studiert seit dem Vorjahr in der Klasse von Anna Adamik in Feldkirch. Mit seinen unglaublichen pianistischen Fähigkeiten zeigt er sich in Griegs süffigem a-Moll-Konzert risikofreudig, dabei vollkommen eins mit den Musikern und hat mit seiner Interpretation auch etwas zu sagen, vielleicht von Krieg und Heimweh.

Er demonstriert in den Doppeloktavläufen die Pranke seiner technischen Virtuosität, die Anschlagskultur in den hauchzarten Perlen des Adagios so überzeugend, dass minutenlange Ovationen des vollbesetzten Hauses über den bescheiden wirkenden Solisten hereinbrechen. Einen hat Mykola noch in petto, eine Toccata seines Landsmannes Aleksander Glotov.
FRITZ JURMANN