Die Rückkehr der Erzählungen

Der Spielzeug-Sammler
James McBride,
btb, 315 Seiten
Storys, Kurzgeschichten, Erzählungen – der Geruch eines Verlegenheitsbuchs muss nicht sein.
Erzählband James McBride liebt es, seine Leser zu überraschen. Mit seinem mit dem National Book Award ausgezeichneten Roman „Die Farben des Wassers“ wurde er 2002 weltberühmt, mit „Der Spielzeug-Sammler“ legt er nun seinen ersten Erzählband vor. „Der Under-Graham-Railroad-Zug“ dient zur Eröffnung des Spektakels: Ein Mann verdient sein Geld damit, dass er seltenes Spielzeug, im Idealfall Unikate, an wohlhabende Sammler verkauft. Seine Spezialität sind Züge, die vor sehr langer Zeit in limitierter Anzahl gefertigt worden sind und plötzlich, wie ein lang verschollener Schatz, auf der Oberfläche auftauchen. Mit dem Under-Graham-Railroad-Zug hat es noch etwas Spezielles auf sich: Er wurde 1859, im Auftrag eines Südstaaten-Generals, knapp vor dem Sezessionskrieg, von einem gewissen Horace Smith konstruiert, der später als Teil von Smith & Wesson als Waffenkonstrukteur bekannt wurde. Die Spielzeug-Lok war voll funktionsfähig und zugleich visionär. Diese revolutionären Techniken hätten kriegsentscheidend sein können, der Zug verschwand jedoch auf dubiose Weise, bis er rund 150 Jahre später bei einem verarmten Prediger wieder auftauchte. Nun gilt es für den Geschäftsmann, den Deal seines Lebens zu machen. Ob das Unterfangen gelingt?
Feindschaft und Freundschaft
In Erzählungen wie dieser sprüht der Autor regelrecht vor Ideen und so unglaublich seine Story klingen mag, so realistisch bringt er sie auf den Boden. Ganz anders wiederum „Die Five-Carat Soul Buttom Bone Band“, die Story handelt von Mitgliedern einer Soulband in einem Armenviertel einer beliebigen US-Großstadt. Eigentlich nur vordergründig, denn in Wahrheit werden kleine und große Geschichten aus dem Schwarzenviertel erzählt. Unbarmherzig, aber spannend – kaum verwunderlich, dass James McBride auch schon für Spike Lee Drehbücher schrieb. Rassismus, Außenseitertum, Feindschaft, Freundschaft und Liebe, dazu eine gehörige Portion Spannung ist die Chemie, die die Inhalte anschiebt. Knappe Sätze, gut in die Geschichte gebaute Dialoge und dann doch wieder Erzählpassagen, die schöne Bilder entstehen lassen, die die Handlung tragen. Auch hier bringt er mit einer angenehmen Souveränität die grob zusammenhängenden Storys auf den Punkt. Alle Erzählungen haben das Zeug zu einem singulären Roman, vielleicht liegt auch darin das Geheimnis seiner inhaltsstarken Erzählungen.
Roman Von der Realität geht es nun in eine dystopische Fiktion. Nach der „Die Bestimmung“-Trilogie erschien unlängst Veronica Roths neuer Roman „Poster Girl“. Vor zehn Jahren wurde die Diktatur des fiktiven Orts Megalopolis im Zuge einer Revolution gestürzt und alle Regimeunterstützer wurden in gefängnisartige Wohnblöcke verbannt. Das Leben dort ist trist, eintönig und armselig. Eine der Inhaftierten ist Sonya Kantor, besser bekannt als „Poster Girl“. Sie war das Gesicht eines Propagandaplakats der gestürzten Delegation von Megalopolis. Doch eines Tages wendet sich ein alter Bekannter an Sonya und bietet ihr ein Tauschgeschäft an: Sie muss ein Kind finden und darf im Gegenzug ein neues Leben beginnen. Mit „Poster Girl“ erzeugt Roth eine fiktionale Dystopie, der sie durch ihre bildreiche Sprache und Elemente unserer Realität einen greifbaren Charakter verleiht. Sonyas gefühlsbetonte Geschichte über Liebe, Freundschaft und Unterdrückung zieht den Leser von Cliffhanger zu Cliffhanger in seinen Bann und wirkt zu keiner Zeit künstlich.

„Poster Girl“
Veronica Roth,
Penhaligon,
371 Seiten