Von doppelter Schuld
„Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit. Was sie dort entdecken mussten, lässt der Welt, lässt uns noch heute den Atem stocken vor Abscheu und Entsetzen.“ Das sagte vor vielen Jahren ein deutscher Politiker – und das gilt alles noch heute. Deshalb wurde dieser Tag zum Internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust erklärt. Somit häuften sich am vergangenen Wochenende auch bei uns im Land die Gedenkfeiern, Vorträge oder Buchvorstellungen zum Thema. Aber auch im benachbarten Tirol versuchte man mit einer besonderen Art des Gedenkens an diesen Tag zu erinnern. In Innsbruck wurden die sogenannten „Zeitpunkte“ enthüllt.
Das jüdische Leben in Innsbruck war bis ins 19. Jahrhundert eng mit den Juden von Hohenems verknüpft, wobei in dieser Zeit viele Hohenemser Juden abwanderten.
Der Rabbiner Josef Link übersiedelte 1914 von Hohenems nach Innsbruck. Hier hatte sich seit den 1880er-Jahren eine kleine Zuwanderergemeinde gebildet, deren Mitglieder sich in der boomenden Landeshauptstadt etablieren konnten. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg lebten knapp fünfhundert Juden in Innsbruck.
Der größte Teil der Tiroler und auch der noch wenigen Vorarlberg Jüdinnen und Juden erlebten das Jahr 1945, das Ende des Terrors der Nationalsozialisten, nicht. Erst langsam bildete sich in Innsbruck wieder jüdisches Leben, 1952 wurde die „Kultusgemeinde Innsbruck für die Bundesländer Tirol und Vorarlberg“ gegründet, seit 1993 gibt es wieder eine Synagoge.
Dieser NS-Opfer wollte man in Innsbruck gedenken, allerdings nicht mit „Stolpersteinen“, Bronze-Steinen im Kopfsteinpflaster vor Wohnungen, in denen Juden gelebt hatten. Man suchte über einen internationalen künstlerischen Wettbewerb eine eigene Art des Gedenkens. Geworden sind es so die „Zeitpunkte“, handgeformte Bronzescheiben von rund acht Zentimetern Durchmesser und drei Zentimetern Stärke, die in der Nähe von ehemaligen Wohnorten von verfolgten Menschen an Lichtmasten, also auf Augenhöhe, angebracht werden.
„Überall da, wo verfolgte Menschen gelebt haben, sollen solche goldenen Erinnerungsplaketten angebracht werden.“
Auf goldscheinenden Scheiben steht lediglich der Name mit einem „Für“, also etwa „Für Amalie Turteltaub“. Entworfen hat diese „Zeitpunkte“ der Hohenemser Grafiker Stefan Amann, der von der Jury des Wettbewerbs einstimmig ausgezeichnet wurde. „Berührt die Sonne die ‚Zeitpunkte‘, zeigt sich das flüchtige Nachleuchten eines ausgelöschten Lebens“, meint Stefan Amann.
Vorläufig sind zwölf solcher „Zeitpunkte“ im Stadtgebiet angebracht, möglichst viele weitere sollen auf Anregung der Bevölkerung folgen. Überall da, wo verfolgte Menschen gelebt haben, sollen solche goldenen Erinnerungsplaketten angebracht werden. Solche, die den Menschen im Vorbeigehen ins Auge springen.
„Wir sind zwar nicht schuld an dem, was passiert ist, doch unsere Schuld wird doppelt sein, sollte es wieder passieren.“ Das sagte der sozialdemokratische Widerstandskämpfer Wolfgang Grünzweig – damit ist alles erklärt.
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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