Wunderkind oder Genie?

Kultur / 17.03.2024 • 13:49 Uhr
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Nur wenige wissen, dass Kreuels fast lebenslang leidenschaftlich auch als Musikwissenschaftler zur höheren Ehre des Herrn Wolfgang Amadé Mozart zu Felde zieht. JU

Hans-Udo Kreuels stellte das „Londoner Skizzenbuch“ des achtjährigen Mozart zur Diskussion.

Fritz Jurmann

Feldkirch Viele haben den Pianisten Hans-Udo Kreuels noch von seiner Tätigkeit als Dozent am Landeskonservatorium und als Komponisten in Erinnerung. Nur wenige wissen, dass er daneben fast lebenslang leidenschaftlich auch als Musikwissenschaftler zur höheren Ehre des Herrn Wolfgang Amadé Mozart zu Felde zieht. Es geht dabei um jenes „Londoner Skizzenbuch“ des achtjährigen Wunderkindes, das Fachleute heute als bloße Versuche geringschätzig abtun, während Kreuels diese 40 Entwürfe für Klavier von 1764 als eindeutige Beweise des frühen Genies gewertet wissen will. Er hat schon früher das gesamte Werk auf CD eingespielt und das Notenmaterial verlegen lassen – vergebens. Bis heute fristet Mozarts „Londoner Skizzenbuch“ ein eher mitleidig belächeltes Dasein, und niemand will es aufführen.

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Die Musik kam etwas zu kurz.

So fasste sich der seit seiner Pensionierung in Passau lebende Musiker ein Herz und kehrte an seinen alten Wirkungsort zurück, um seine Meinung an ausgewählten Beispielen zu demonstrieren. Dazu schuf er gemeinsam mit dem Vorarlberger Arrangeur André Vitek neue Orchesterfassungen, die er zusammen mit Guntram Simmas Collegium Instrumentale hier uraufführen wollte. Doch der Abend stand unter keinem guten Stern. Der Dirigent erkrankte kurzfristig, wurde aber auf respektablem Niveau durch seine Konzertmeisterin Barbara Gschwend vertreten. Dazu erwies sich der Festsaal der Stella als viel zu groß, denn nur eine kleine Schar speziell interessierter Musikfreunde fand den Weg dorthin. Ein Teil von ihnen verabschiedete sich auch vorzeitig wieder, weil sich Kreuels in seinem komplexen Lieblingsthema verbal allzu sehr verstrickte und dabei die Musik zu kurz kam.

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Die Welt um den jungen Mozart hat Hans-Udo Kreuels nicht aus den Angeln gehoben, aber immerhin mutig für ihn eine Lanze gebrochen.

Aber es ist durchaus interessant und amüsant, was er aus seinen intensiven Nachforschungen mit Feuereifer zu diesem Thema zu berichten weiß. Etwa davon, dass Mozart in seinen Klavierskizzen eine spätere Instrumentierung bereits angedeutet hat, wie sie nun durch Kreuels erfolgte. Allerdings raubt das 40-köpfige Orchester dabei den kleinen Stücken manchmal auch ihre kindliche Unschuld, sie klingen wie in Watte verpackt wie das Andante in As-Dur.

In seiner Argumentationskette für Mozart weist Kreuels auch auf Mozarts geniale metrische Experimente hin, seine Widerborstigkeit und viele überraschende Wendungen, alles absolutes Neuland für den kindlichen Horizont. Auch der berühmte Ritter von Köchel bleibt nicht ungeschoren, der jede Note Mozarts in seinem Werkverzeichnis „verköchelt“ hat, beim Skizzenbuch aber angeblich danebenlag. Köchel ist seit bald 150 Jahren tot, kann sich nicht mehr wehren. Zwei mehrsätzige Werke aus Kreuels‘ Zusammenstellung, eine Sonata g-Moll und ein „Londoner Concertino“ Es-Dur, überzeugen als frühe kleine Klavierkonzerte in gekonnter Manier. Und überall blitzt bereits der spätere Genius durch. In der abschließenden Gegenüberstellung mit Werken der jungen Reifezeit Mozarts wird einem dann auch die volle Gültigkeit in seinem Schaffen bewusst: dem reizend variierten Konzertrondo D-Dur von 1782 und zwei dramatischen Zwischenaktmusiken aus der Schauspielmusik zu „Thamos“ des 18-Jährigen, nur für Orchester.           

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Es war ein erhellender Abend.

Die Welt um den jungen Mozart hat Hans-Udo Kreuels damit nicht aus den Angeln gehoben, aber immerhin mutig für ihn eine Lanze gebrochen. War der Achtjährige nun damals Kind, Wunderkind mit Ablaufdatum oder wirklich bereits jenes Genie, das die Welt später in Staunen versetzte? Diese Frage wird wohl nie schlüssig beantwortet werden, es ist eine Entscheidung um des Kaisers Bart, die wir gerne der Musikwissenschaft überlassen und uns dafür einfach an Mozarts Musik erfreuen wollen – in ihrer ganzen Schönheit, Anmut und Wärme. Insofern also ein erhellender Abend.