Bruckner aus erster Hand

Chouchane Siranossian und das Bruckner Orchester Linz bescherten Dornbirn einen unvergesslichen Abend.
DORNBIRN. Die Konzertreihe „Dornbirn Klassik“ hat zuletzt mächtig aufgeholt und ist zum Saisonschluss mit einem Top-Class-Konzert qualitativ deutlich über sich selbst hinausgewachsen. Der manchmal gerne als zweitrangig belächelte Zyklus braucht seit dem Sonntag nach einem hinreißenden Gastspiel des Bruckner Orchesters Linz unter Markus Poschner Vergleiche mit weit besser dotierten Konzertreihen im Land nicht mehr zu scheuen.

Allein die Auswahl der beiden Werke des Abends ist ein Lehrstück sondergleichen, denn mit Mendelssohns Violinkonzert und Bruckners „Sechster“ ist trotz ihrer Gegensätzlichkeit mit einem Schlag die ganze Spannweite der Romantik des 19. Jahrhunderts umrissen. Da huscht und flattert es im Violinkonzert in der Manier des „Sommernachtstraumes“ duftig schwerelos durch den Saal, während bei Bruckner eherne Klangkathedralen Stein für Stein aufgerichtet werden, bevor sie rasch wieder zusammenstürzen. Beides an einem Abend in Höchstqualität nebeneinander zu erleben, ist für die Besucher eine absolut spannende Lehrstunde.
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Es ist mehr als das: nämlich das reine Vergnügen, wie leicht und spielerisch, dabei von bestechender Präzision im Zusammenspiel Mendelssohns populäres Werk in e-Moll gelingt. Man hat die in der französischen Schweiz lebende Geigerin Chouchane Siranossian bei uns bereits als Galionsfigur des Ensembles „Esperanza“ in Bad Ragaz und bei :alpenarte in Schwarzenberg bewundert. Inzwischen ist sie auf einem kaum erträumbaren Niveau angelangt, atmet den Geist dieses Werkes in seiner unbegreiflichen Transparenz und klassischen Schönheit, korrespondiert elegant mit den mitgestaltenden Orchestermusikern und deren Dirigenten, dem Münchner Markus Poschner. Mehr geht nicht, das ist knapp an der Grenze dessen, was man schlicht als Vollendung bezeichnen kann. Klar, dass das Publikum stürmisch nach Mehr verlangt. Es ist eine verlorene zweistimmige Melodie des 11. Jahrhunderts aus ihrer Heimat Armenien, die von einer Drehleier stammen könnte.
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Bei allem Respekt vor diesem Paket, dessen Kompetenz und Exzellenz gehört dieser Abend schließlich doch Anton Bruckner, dessen Namen das 200-jährige Linzer Orchester seit 1967 mit Selbstbewusstsein und Stolz trägt. Dabei ist die Nummer 6 in A-Dur, die sie für Dornbirn im Gepäck haben, die erste seiner Symphonien, in der er sich nach Fertigstellung nicht durch Freunde und Kollegen eine Umarbeitung aufschwatzen ließ. Die „Sechste“ besitzt zwar nicht die Popularität der „Siebten“ oder gar der „Achten“ mit ihrem einzigen Beckenschlag, aber sie ist in ihrer Länge unter einer Stunde ein unglaublich kompaktes, dicht gestricktes Werk, das einen vom ersten bis zum letzten Ton in seiner Konzentration nicht mehr loslässt. Das liegt natürlich auch an diesem Orchester und dessen charismatischem Chefdirigenten Markus Poschner, die einen Bruckner „aus erster Hand“ servieren, unglaublich authentisch direkt aus dem Land, in dem er gelebt und komponiert hat und nicht anderes wollte, als dem lieben Gott und der Musik zu dienen. Ein besonderes Erlebnis gerade zum Brucknerjahr, das einen bewegt, im Finale des Kopfsatzes knapp an der Schallmauer aus dem Sessel reißt und im feierlichen, oft kaum vernehmbaren Adagio in einem Wald von über 50 Streichern mit sattem Blech und Holz zu Tränen rührt. Das ist bei Poschner ausgereizte Dynamik nicht als Effekt, sondern als Selbstzweck zur Darstellung der Größe eines Werkes. Besser, intensiver, spannender kann man das nicht spielen.
FRITZ JURMANN