Der Goldene Schnitt

Ilse Aberer stellt unter dem Titel „Sichtbares und Verborgenes” in der Galerie.Z aus.
Auf kaum jemanden trifft das Diktum von Richard Bösch treffender zu als auf die Arbeiten von Ilse Aberer, der einmal sagte, „dass Kunst die genaueste Ungenauigkeit sei“. Das sollte genügen. Damit wird zwar der Kunst von Ilse Aberer Genüge getan, aber nur ungenau.

Ilse Aberer, Jahrgang 1954, lebt und arbeitet in Götzis. Sie ist eine sehr aktive Künstlerin, vielleicht nicht so sehr in ihrer Heimat, obwohl zwei große Werke von ihr im öffentlichen Raum stehen (Palais Thurn & Taxis Park und Kreisverkehr Lauterach). Zuletzt war Aberer im ORF-Landesstudio (2022 und 2020) und im QuadrArt Dornbirn (2020) zu sehen. Auch international ist die Künstlerin sehr erfolgreich, wie Ausstellungen im sehsaal Wien (2024), im Musée de Cholet, Frankreich (2023) – sie wurde bereits dreimal für den Prix André Evard nominiert -, im Kunstraum Stoffen, Deutschland (2023), in der Galerie Mariette Haas, Ingolstadt (2022) oder im Ely Center of Contemporary Art, New Haven (USA) zeigen.

Seit vielen Jahren beschäftigt sich Aberer „mit dem Quadrat zum Quadrat“. Ihre Exzerpte sind einfach komplizierte Quadrate in Acryl, Kunststoff, Pigmenttinte, Holz. Trägermaterial sind Büttenpapier, Alubond, Holz. Mittlerweile ist ihr Fokus auf das Maß von einem Quadratmeter gelegt. Man könnte dabei von einer mathematischen Strenge sprechen, die dahintersteht, aber Aberer versteht es mit Leere und Raum zu spielen, Begrenzungen aufzulösen, gleichsam wie die Dichotomie Himmel/Erde, die beide für sich selbst stehen und sich dennoch an ihren Rändern berühren und manchmal diffus ineinanderfließen und als eins erscheinen.

Eines der Instrumentarien, die Ilse Aberer immer wieder verwendet und darin hat sie es zu einer Meisterschaft gebracht, ist der Goldene Schnitt, jene sectio aurea, jene göttliche Proportion, die schon in der griechischen Antike, also vor mehr als 2300 Jahren, von Euklid von Alexandria nachgewiesen wurde, und in unseren Breiten vor allem durch Leonardo da Vinci bekannt geworden; in der Neuzeit entwickelte Le Corbusier, basierend auf den menschlichen Maßen und dem Goldenen Schnitt, ab ca. 1940 ein einheitliches Maßsystem. Ob es sich nun dabei um den Parthenon, romanische oder gotische Basiliken/Kathedralen, Maya-Tempel oder um den Eiffelturm handelt. Sie alle tragen den Goldenen Schnitt in sich, und selbstverständlich findet er sich in der Natur, in der Anordnung von Blüten und Blättern (Sonnenblumen, Rosen, Kiefernzapfen), aber auch in Muscheln und Schnecken wieder. Vielleicht kann die Natur doch mehr als die Kunst? Ilse Aberer lehrt uns das, aber sie lehrt uns auch eine genaue Betrachtung und „um sich an das Leben und dessen großen Geheimnisse anzunähern, halte ich die Prinzipien der konkreten Kunst für am besten geeignet“, so Aberer.

Wie soll eine Annäherung an das Göttliche, an das letzte Geheimnis stattfinden – in Demut, man kniet! Aber sie gibt sich nicht nur mit einer Verwerfung oder einer Faltung zufrieden, Aberer bemüht auch die Kompression, wie uns die Arbeiten „Compression white und Compression black (2022)“ zeigen. Die Betonung des in runden fließenden Mulden in sich zusammenfallender mit Autolack lackiertem Kunststoff von einem Quadratmeter, die an den „weichen Stil“, eine Stilrichtung der spätgotischen Malerei (Marienfiguren mit ihren ausladenden weichen, drapierten Gewändern, die sogenannten „schönen Madonnen“) erinnern. Dreifaltigkeit? Nein, ein unfassbares Geheimnis. Unterhalb dieser Komplexität macht es Ilse Aberer nicht. Sie vertraut sich in ihren Arbeiten einem größeren, den menschlichen Geist übersteigenden Sichtbarmachen des Unsichtbaren an. Das ist die große Kunst von Ilse Aberer.
Thomas Schiretz
Ilse Aberer: Sichtbares und Verborgenes
Galerie.Z
Eröffnung: 30.5.2024, 19:30 Uhr
bis 29.6.2024