Ein Sommernachtstraum

Mit Beethoven und Bartók setzte das Belcea Quartet neue Maßstäbe der Kammermusik.
SCHWARZENBERG Das war bei der Schubertiade am Sonntagabend ein Sommernachtstraum, bei dem die Grenzen zur Realität zerfließen, Unwirkliches zwischen zart wispernder Schwerelosigkeit und auffahrend wilder Exstase. Ein kleines Jubiläum auch vor dem großen im nächsten Jahr. Denn es sind genau 30 Jahre her, dass Geschäftsführer Gerd Nachbauer mit seiner Schubertiade von heute auf morgen von Feldkirch in den „Would“ gezogen ist, unterwegs wie Schuberts rastloser Wanderer, und 1994 im damals noch im ursprünglichen Bauzustand befindlichen Angelika-Kaufmann-Saal eine neue Bleibe gefunden hat. Das war auch das Gründungsjahr des britischen Belcea Quartetts. Dessen rumänische Namensgeberin sitzt bis heute unangefochten am ersten Pult, während die Mitglieder ausgetauscht wurden.
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Geblieben ist trotzdem oder vielleicht gerade deswegen die fast jenseitige Qualität dieses Ensembles, das auch an diesem Abend keinerlei Konkurrenz in Form etwa eines Fernsehabends bei der Fußball-EM zu fürchten hatte: Der Saal war ausverkauft. Und ältere Schubertianer erinnerten sich mit Vergnügen an Zeiten, in denen der fußballvernarrte deutsche Tenor Peter Schreier sich bei solchen Anlässen über ein TV-Gerät hinter der Bühne jeweils aktuell über den Stand der Dinge informierte. Zu solchen Abschweifungen ist diesmal kein Anlass, zu sehr halten die seit 2002 regelmäßig in der Spitzengruppe internationaler Streichquartette hier gastierenden Briten das Publikum in Atem. Neben Primaria Corina Belcea mit ihrem silberhellen Ton und traumwandlerischer Sicherheit sind das Violinpartnerin Suyeon Kang, erst seit kurzem dabei, Krzysztof Chorzelski, Viola, und Antoine Lederlin, Violoncello.

Größten Respekt verlangt zunächst die Programmierung des Abends, bei der es dem Ensemble gelingt, aus der zunächst harmlos scheinenden Reihung Beethoven – Bartók – Beethoven eine spannungsgeladene Verbindung zu schaffen, die ein Stück europäischer Musikgeschichte erschließt. Das erste in c-Moll, op. 18/4, gehört zu einer Serie, mit der Beethoven sich um 1800 nach Mozart und Haydn das Terrain Streichquartette mit einem eigenen Profil erobern wollte, vorsichtig und nicht eben aufregend.

Umso größer ist der Kontrast zum ersten Streichquartett a-Moll von Bela Bartók, das gute hundert Jahre danach entstand und in freier Tonalität eine neue musikalische Welt eröffnet. Das traditionsverwöhnte Schubertiade-Publikum hat in fast 50 Jahren gelernt, die besonderen Schönheiten zu erkennen und schätzen, die auch dieses frühe Meisterwerk der Gattung eines Klassikers der Moderne bereithält. Es ist ein extrem langes, in den drei Sätzen attacca durchgespieltes, technisch und gestalterisch hoch anspruchsvolles Werk, das in seinen rhythmischen Wellenbewegungen mit einer kunstgerechten Fuge im Finale und kräftigen Farben wie ein Bilderbuch wirkt.
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Das Konzept des Abends erfüllt sich erst beim dritten Werk, dem drittletzten Streichquartett Beethovens in Es-Dur, op. 127, das 1825 entstand, parallel zu seiner eben abgefeierten genialen „Neunten“. Kein Wunder also, dass sich in dem als schwer zugänglich geltenden Quartett auch jene Grundlagen finden, die der Komponist seinem Werk an zukunftsweisenden Abweichungen von der Norm mitgegeben und die Bartók auf seine Weise zu früher Vollendung gebracht hat. Die Herausforderung wird angenommen: Glasklar und blitzsauber rundet sich das in seiner emotionalen Verdichtung, seinen langen Spannungsbögen zu einer Offenbarung größter Streichquartettkunst. Und das Publikum ist hingerissen.
FRITZ JURMANN