Oper, Gangsterdrama und queere Liebesgeschichte

Kultur / 18.07.2024 • 22:49 Uhr
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Gioachino Rossinis Oper „Tancredi“feierte am Donnerstagabend im Festspielhaus die umjubekte Premiere. philipp steurer

Gioachino Rossinis „Tancredi“ als Oper im Haus bei den Bregenzer Festspielen.

Bregenz Die Inszenierung von Gioachino Rossinis „Tancredi“ bei den Bregenzer Festspielen, die am Donnerstagabend im Festspielhaus Premiere feierte, besticht durch ihre Verlagerung in eine moderne Welt der Familienclans und Gangster. Regisseur Jan Philipp Gloger nutzt eine zeitgenössische Kulisse, um die Oper in einem neuen Licht zu präsentieren und die komplexen Handlungsstränge zugänglicher zu machen.

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Regisseur Gloger setzt die Oper in einem zeitgenössischen Bühnenbild in ein neues Licht und macht die komplexen Handlungsstränge leichter zugänglich. philipp steurer

Rossinis Oper, die er im Alter von nur 20 Jahren komponierte, gehört zwar nicht zu den meistgespielten Werken des Komponisten, aber die Ouvertüre wird immer noch oft und gerne aufgeführt. Das heroische Sujet von “Tancredi” spiegelt sich nur in der langsamen Einleitung der Ouvertüre wider, während der schnelle Teil auch zu einer komischen Oper passen könnte. Dies ist nicht verwunderlich, da Rossini die Ouvertüre aus Zeitgründen für sein melodramma giocoso „L’ pietra del paragone“ verwendete.

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Inhaltlich basiert „Tancredi“ auf dem Theaterstück „Tancrède“ von Voltaire. Die sizilianische Stadt Syrakus wird von den Sarazenen belagert und durch interne Streitigkeiten der Oberschicht gelähmt. Tancredi, ein junger Adliger, findet Zuflucht in Byzanz (Konstantinopel), das zu dieser Zeit eine wichtige Rolle im Mittelmeerraum spielt. Amenaide, die Tochter des Patriziers Argirio aus Syrakus, liebt Tancredi, der ihre Gefühle erwidert. Aber auch der patrizische Gegenspieler Orbazzano und der muslimische Heerführer Solamir sind an Amenaide interessiert. Die meisten Treffen der Liebenden müssen heimlich und inkognito stattfinden, was das gegenseitige Vertrauen belastet. Vater Argirio plant, seine Tochter aus innenpolitischen Gründen mit Orbazzano zu verheiraten.

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„Tancredi“ basiert auf dem Theaterstück „Tancrède“ von Voltaire. philipp steurer

Am Ende kehrt Tancredi aus dem Exil zurück und zweifelt an der Liebe Amenaides. Sie wird von den Syrakusanern als Verräterin angesehen und zum Tode verurteilt. Rossini schrieb zwei verschiedene Enden, um sowohl den Vorlieben des Publikums als auch der Flexibilität für verschiedene Aufführungen Rechnung zu tragen: Im tragischen Ende kann Tancredi Amenaide nicht retten und zieht stattdessen in den Kampf gegen die Belagerer, wo er schwer verwundet wird und kurz vor seinem Tod erfährt, dass Amenaide ihn wirklich liebt. Im Happy End erfährt Tancredi rechtzeitig von Amenaides Unschuld, rettet sie und besiegt die Sarazenen im Kampf. Als Held kehrt er nach Syrakus zurück, wo er schließlich mit Amenaide vereint wird. Gloger und Dirigentin Yi-Chen Lin entschieden sich für das tragische Ende, das die eindringlichere Musik enthält und der Oper eine zusätzliche emotionale Intensität verleiht.

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Anna Gorjatschowa als Tancredi und Mélissa Petit als Amenaide sind ein Liebespaar. philipp steurer

Der Regisseur greift den alten Stoff auf, verpasst ihm eine Frischzellenkur und verlegt die Oper nach Mittel- oder Südamerika. Die Welt der modernen Familienclans und Gangster macht die Handlung zugänglicher und aktueller. Die Villa, die als Drogenlager dient und mit Büro und Fitnessraum ausgestattet ist, symbolisiert die brutale, männlich dominierte Welt der Figuren. Das Bühnenbild von Ben Baur unterstützt diese Atmosphäre eindrucksvoll. Ein Schwerpunkt der Inszenierung liegt auf der Dynamik zwischen den rivalisierenden Clans, die sich gegen die Polizei verbünden müssen. Der Chor, bestehend ausschließlich aus Männern, unterstreicht diese Geschlechterdynamik zusätzlich. Im Original ist Tancredi eine Hosenrolle, in der eine Frau einen Mann spielt. In dieser Inszenierung sind Anna Gorjatschowa als Tancredi und Mélissa Petit als Amenaide ein Liebespaar. Diese queere Interpretation verleiht der Handlung eine neue Dimension und aktualisiert das Werk auf zeitgemäße und inklusive Weise.

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Gloger integriert den queeren Handlungsstrang behutsam und respektvoll. philipp steurer

Dass eine Modernisierung auch ins Auge gehen kann, haben schon etliche Inszenierungen bewiesen, vor allem dann, wenn versucht wird, einem Inhalt durch eine „queere“ Umsetzung einen modernen Anstrich zu geben. Gloger gelingt es jedoch sehr gut, die Essenz des Originals zu bewahren und gleichzeitig eine spannende Interpretation zu liefern. Die Mischung aus traditionellem Stoff und modernem Setting schafft eine fesselnde Atmosphäre, ohne dabei plump oder aufgesetzt zu wirken. Gloger integriert den queeren Handlungsstrang behutsam und respektvoll, wodurch die Beziehung zwischen Tancredi und Amenaide authentisch und durchdacht wirkt. Da jedoch die meiste Dramatik im ersten Teil der Oper angesiedelt ist, verliert die Inszenierung nach der Pause an Schwung und wirkt stellenweise langatmig. Glücklicherweise wird dies durch den schön inszenierten Schluss ausgeglichen, der den positiven Gesamteindruck wieder herstellt und versöhnt.

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Die Kostüme von Justina Klimczyk unterstützen die Wirkung der Inszenierung. philipp steurer

Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Yi-Chen Lin liefern eine beeindruckende musikalische Darbietung. Lin versteht es meisterhaft, Rossinis Musik zum Leben zu erwecken. Die Schönheit von Rossinis Kompositionen kommt dadurch besonders intensiv zur Geltung und trägt wesentlich zum Erfolg der Aufführung bei. Die sängerischen Leistungen sind herausragend. Rossini, der für seinen musikalischen Einfallsreichtum bekannt ist, hat in „Tancredi“ einige seiner schönsten Melodien komponiert. Besonders hervorzuheben sind die Arien „Di tanti palpiti“ (auch bekannt als “Reisarie”) und „Tu che accendi questo core“. Die Solisten Antonino Siragusa als Argirio, Anna Gorjatschowa als Tancredi, Andreas Wolf als Orbazzano und Mélissa Petit als Amenaide bieten großartige Leistungen.

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Rossini hat in „Tancredi“ einige seiner schönsten Melodien komponiert. philipp steurer

Die Kostüme von Justina Klimczyk und das Licht von Martin Gebhardt unterstützen die Wirkung der Inszenierung. Die modernen Kleider helfen, die Figuren und ihre Beziehungen besser zu verstehen. Das Lichtdesign schafft dramatische Effekte, die die Intensität der Handlung verstärken und die emotionale Tiefe der Szenen unterstreichen.

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Rossinis komponierte die Oper im Alter von nur 20 Jahren. philipp steurer

Der Prager Philharmonische Chor trägt wesentlich zur musikalischen und szenischen Kraft der Aufführung bei. Die Zusammenarbeit zwischen dem Chor und den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Lin ist perfekt aufeinander abgestimmt. Die Chorpassagen sind stimmgewaltig und technisch einwandfrei. Dieses harmonische Zusammenspiel trägt zur Gesamtdynamik und Intensität der Aufführung bei.

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Die Inszenierung von Jan Philipp Gloger, die musikalische Brillanz der Wiener Symphoniker unter Yi-Chen Lin und die herausragenden sängerischen Leistungen machen diese Aufführung unvergesslich. Die Aufführung bietet die einmalige Gelegenheit, Rossinis Werk in einer neuen, modernen Form zu erleben und zeigt, warum seine Kompositionen auch heute noch faszinieren. Die innovative Inszenierung, die herausragenden Solistinnen und Solisten sowie die wunderschöne Musik machen die Oper „Tancredi“ zu einem beeindruckenden Erlebnis.