Vom Schießen und Segeln

Es war vor fast genau 64 Jahren, als 1960 die Olympischen Spiele in Rom ausgetragen wurden. Für uns damals Jugendliche gab es nur ein Thema: Die Frage, ob der Deutsche Armin Hary, der kurz zuvor im Zürcher Letzigrund auf einer Aschenbahn (!) als erster Mensch die 100 Meter in 10,0 Sekunden gelaufen war, auch die Geldmedaille gewinnen würde. Ganz Deutschland war in Aufregung, immerhin war Hary der erste Europäer, der gegen die amerikanische Übermacht angetreten war. Hary konnte die Erwartungen erfüllen, mit einer (handgestoppten!) Zeit von 10,3 Sekunden kam er am 1. September im Stadio Olimpico ganz knapp vor dem Amerikaner Dave Same (ebenfalls 10,2) und dem Briten Peter Radford (10,3) ins Ziel. Wir waren begeistert vom deutschen Sprintstar – und interessierten uns kaum für eine Disziplin, die wenige Tage später den ersten Vorarlberger Olympiasieger bei Sommerspielen bringen sollte.
So lange mussten wir also warten, bis es wieder einen Vorarlberger gab, der bei Olympischen Sommerspielen auf das oberste Treppchen steigen konnte.
Walter Fink
Vom 3. bis 5. September war in Rom das Dreistellungsmatch im Schießen angesagt, mit dabei der aus Egg stammende Hubert Hammerer. Das Match besteht aus 3×40 Schuss, der Wettkampf wird in den Stellungen kniend, liegend und stehend absolviert. Die Wettkampfzeit beträgt drei Stunden. In Rom dauerte das im neu erbauten Poligono di tiro Umberto I ausgetragene Schießen allerdings sechs Stunden, am Ende gewann Hubert Hammerer das einzige Gold dieser Spiele für Österreich. Und für Vorarlberg. Da kam dann auch bei uns Begeisterung auf.
So lange mussten wir also warten, bis es wieder einen Vorarlberger gab, der bei Olympischen Sommerspielen auf das oberste Treppchen steigen konnte. Aber nun, in Marseille, war es wieder einmal soweit. Besonders schön, dass das im Segelsport geschehen konnte, wo wir ja den Bodensee als wunderbares Trainingsgebiet und den Yacht Club Bregenz mit seinem erfolgreichen Segler und Trainer Fritz Trippolt als besondere Kaderschiede haben. Lukas Mähr heißt der neue Vorarlberger Segelstar, der mit seiner Kärntner Steuerfrau Lara Vadlau in der 470er-Klasse (bezeichnet nach der Segelboot-Gesamtlänge in Zentimetern) zu Gold segelte. Da ich das Glück hatte, bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen zu sein, konnte ich mich an die Goldmedaille im Tornado, einem Katamaran, von Roman Hagara und Hans-Peter Steinacher und die darauf folgenden Feiern im Österreichhaus gut erinnern.
Die Begeisterung bei Mähr/Vadlau war nicht geringer, die Erwartung riesengroß. Das letzte Rennen, das „medal race“, war an Spannung kaum zu überbieten. Nach schlechtem Start kämpften sich Lukas Mähr und Lara Vadlau Platz um Patz vor – bis zur Goldenen. Die Freude der beiden noch im Boot, die Umarmungen, die in die Luft geworfenen Hände – das war schön zum Zuschauen. Und die darauf folgenden Interviews zeigten, wie sehr die beiden trotz des Erfolges am Boden blieben, wie sehr sie wussten, dass ihre Leistung aufgebaut war auf einem großen Team, von der ersten Segelstunde bis zu den Spielen. Aus ihnen könnten große Vorbilder werden.
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg