Die Mitte des Lebens
Ab dem 19. September findet in Lech am Arlberg wieder das Philosophicum Lech statt. Diesmal mit neuer Intendanz. Die aus dem Schweizerischen Rundfunk über die Sendung Sternstunde Philosophie bekannte Philosophin Barbara Bleisch wird das Philosophicum ab nun gemeinsam mit Konrad Paul Liessmann programmieren und ich freue mich sehr darauf. Regelmäßige Besucher:innen des Philosophicum kennen sie bereits als Referentin und als Jurorin des Tractatus-Preises.
„Und Leben bedeutet sich zu entscheiden, aus der Fülle von Optionen, die uns jeden Tag offenstehen.“
Ihr neues Buch „Die Mitte des Lebens“ habe ich im Sommer gelesen. Mit Mitte 40 kommt das Buch für mich exakt zur richtigen Zeit. Barbara Bleisch gelingt, wie sie es selbst umschreibt, eine Kartografie der Mitte des Lebens. Sie verortet existenzielle Fragestellungen und gibt dazu Impulse aus der Philosophie. Natürlich kommen auch Bilder wie jenes der Midlife-Crisis vor, aber gar nicht sos sehr, denn es geht eher um Fragestellungen, die sich in vielen unserer Lebensläufe zeigen: der neuen Rolle, die man in der eigenen Familie spielt, den Verpflichtungen in der Fürsorge innerhalb und außerhalb der eigenen Familie, dem Loslassen als Eltern, den neuen Freiräumen, die sich damit ergeben und der Frage: soll ich so weitermachen oder mich nochmals neu erfinden? Wie verzeihe ich mir, was ich versäumt habe? Erfüllt mich mein Beruf? Wie gelingt Partnerschaft in der neuen Lebensphase? Sorge ich auch gut für mich selbst, im Hinblick auf die Gegenwart, aber auch im Hinblick auf das Alter, das nicht mehr so fern ist, wie es schon war?
Existenzielle Umbrüche wie der Tod und Krankheit von Angehörigen und Freund:innen werden zu Erfahrungen, die man in dieser Lebensphase nun deutlich öfter macht. Damit stellen sich auch neue Fragestellungen im Hinblick auf die eigene Existenz und den eignen Alltag. Das Kapitel zum „prospektiven Bedauern“ habe ich mit besonderem Interesse gelesen. Sich vorzustellen, wie man gelebt haben möchte, wie man also auf das eigene Leben zurückschaut, kann eine wertvolle Richtschnur für eigene Entscheidungen sein. Und Leben bedeutet sich zu entscheiden, aus der Fülle von Optionen, die uns jeden Tag offenstehen. Dabei gibt die Autorin keine Ratschläge, sondern öffnet Fenster für verschiedene Betrachtungsweisen. Selbiges hat sie vermutlich auch beim Philosophicum vor, dass heuer den Titel „Sand im Getriebe trägt“ und das erste Mal am neuen Ort, in den heuer eröffneten Lechwelten, stattfindet. Möge die Übung des gemeinsamen Nachdenkens abermals gelingen!
Verena Konrad ist Kunsthistorikerin und Direktorin des vai Vorarlberger Architektur Institut.
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