Die verborgene Magie der Realität

Umfassende Rudolf Wacker Retrospektive im Leopold Museum in Wien.
Wien Das Leopold Museum in Wien widmet dem großen Vorarlberger Maler Rudolf Wacker (1893-1939), einem der bedeutendsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit in Österreich, bis zum 16. Februar 2025 eine umfassende Retrospektive. Unter dem Titel „Rudolf Wacker. Magie und Abgründe der Wirklichkeit“ zeichnet die Ausstellung anhand von rund 250 Werken die künstlerische Entwicklung des Bregenzer Malers nach, dessen Schaffen stark von den politischen Umbrüchen seiner Zeit geprägt war. Im Mittelpunkt stehen Wackers einzigartige Fähigkeit, in seinen Stillleben das „Besondere im Gewöhnlichen“ einzufangen, sowie seine Landschaften, Aktstudien und Selbstporträts.

Wacker begann seine künstlerische Ausbildung in Weimar bei Albin Egger-Lienz, nachdem ihn die Wiener Akademie zunächst abgelehnt hatte. Bereits in dieser frühen Phase entwickelte er eine ausgeprägte Vorliebe für das Zeichnen, die später zu seinem unverwechselbaren Stil führte. Seine frühen Werke zeugen von einer experimentellen Herangehensweise an weibliche Akte und Selbstbildnisse, in denen er unbeeindruckt von gesellschaftlichen Normen neue Wege beschritt.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrach jedoch seine aufstrebende künstlerische Karriere. Wacker wurde an die Ostfront geschickt und geriet wenig später in russische Gefangenschaft, in der er fünf Jahre verbrachte.

Trotz der schwierigen Umstände blieb er künstlerisch aktiv und verarbeitete die Kriegsereignisse in seinen Zeichnungen und Linolschnitten. Seine Tagebücher aus dieser Zeit geben tiefe Einblicke in die Schrecken des Krieges und seine persönliche Entwicklung.

Nach seiner Rückkehr nach Österreich schloss sich Wacker der Bewegung der Neuen Sachlichkeit an und entwickelte eine unverwechselbare Position. In seinen Stillleben konzentrierte er sich auf alltägliche Gegenstände, die er durch eine dichte Komposition in fast mystische Objekte verwandelte.

Seine Werke stehen im Dialog mit Künstlern wie Otto Dix und Alexander Kanoldt, doch thematisiert Wacker die politischen Spannungen seiner Zeit nur indirekt. In den 1930er Jahren werden seine Stillleben zu subtilen Kommentaren auf die wachsende Bedrohung durch den Nationalsozialismus und vermitteln auf zurückhaltende, aber eindringliche Weise die Ängste der Zeit.

Die Ausstellung im Leopold Museum folgt der Entwicklung von Wackers Werk in einer lockeren Chronologie und beleuchtet zentrale Themen seines Schaffens. Im Mittelpunkt stehen seine introspektiven Selbstporträts, die durch ihre psychologische Vielschichtigkeit und technische Präzision beeindrucken. Ein herausragendes Beispiel ist das „Selbstbildnis mit Rasierschaum“ von 1924, das Wacker in einer ungewöhnlich intimen und humorvollen Darstellung zeigt. Eine besondere Klarheit und Ruhe strahlen seine Landschaftsbilder aus, die oft von seiner Vorarlberger Heimat inspiriert sind.

Auch eine weniger bekannte Seite seines Schaffens wird beleuchtet: Wackers umfangreiche schriftliche Hinterlassenschaft. Seine 16 Tagebücher und zahlreichen Briefe gewähren tiefe Einblicke in seine Gedankenwelt und dokumentieren seine künstlerische Entwicklung ebenso wie die bewegte Zeit, in der er lebte.

Kuratorin Marianne Hussl-Hörmann unterstreicht die Bedeutung dieser Texte: „Rudolf Wacker war nicht nur ein herausragender Maler, sondern auch ein leidenschaftlicher Schriftsteller. Seine Tagebücher und Briefe bieten wertvolle Einblicke in sein Denkweise und vertiefen unser Verständnis seiner Kunst”.

Die Retrospektive im Leopold Museum ist nicht nur eine Würdigung von Wackers Werk, sondern auch eine Gelegenheit, seine Kunst einem breiteren, internationalen Publikum zugänglich zu machen. Angesichts der Bedeutung der österreichischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts und der persönlichen Verbundenheit des Sammlerehepaares Leopold mit Wacker ist das Leopold Museum der ideale Ort für diese umfassende Schau, so Museumsdirektor Hans-Peter Wipplinger.