„In Gerda steckt auch mein Zorn“

Kultur / 14.11.2024 • 11:28 Uhr
Reinhold Bilgeri
Die Präsentation von Reinhold Bilgeris neuem Roman findet am Samstag, 23. November auf der Buch Wien statt.Jens Ellensohn

Reinhold Bilgeri hat mit „Das Gewissen der Tauben“ seinen dritten Roman veröffentlicht.

Schwarzach Reinhold Bilgeri (74) greift in seinem neuen Roman ein brisantes zeithistorisches Thema auf: Die Flucht nationalsozialistischer Täter nach Lateinamerika, unterstützt vom Vatikan. Im Interview erzählt der Autor, Musiker und Filmemacher, was „Das Gewissen der Tauben“ mit seiner eigenen Familiengeschichte zu tun hat.

VN: Ihr neuer Roman „Das Gewissen der Tauben“ beginnt Ende der 50er Jahre. Warum haben Sie für die Handlung genau diesen Zeitraum gewählt?

Reinhold Bilgeri: Weil sich die Hauptfigur des Romans, die damals 19-jährige Gerda, Tochter einer militant katholischen Religionslehrerin in dieser Zeit zu politisieren beginnt und sich immer öfter mit philosophischen und religionskritischen Büchern befasst, um ihrer engagierten Mutter auf Augenhöhe Paroli bieten zu können.

Nach der Online-Lesung bei Russmedia folgen nun weitere Auftritte.  VN

VN: Was hätte sich an der Handlung geändert, wenn sie im Jetzt stattfinden würde?

Reinhold Bilgeri: Hätte ich die Handlung in die heutige Zeit verlegt wäre die Atmosphäre der Story und ihrer Protagonisten eine andere, gewisse Themen wären schon vermeintlich zu abgeklärt oder gar bagatellisiert, während in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Nachwehen des Krieges taufrisch waren und die Hauptfigur meines Romans sich mit den Verwerfungen der Zeit konfrontiert sieht.

VN: Welche Rolle spielt die unbewältigte NS-Vergangenheit in der aktuellen Politik bzw. welchen Einfluss hat sie auf die politische Situation?

Reinhold Bilgeri: Sie spielt im historischen Kontext die Rolle einer lauernden Option, die ihr Faszinosum nie wirklich verloren hat. In den Fünfzigern wurde noch viel geschwiegen , verdrängt und „Schwamm drüber“ empfohlen, ein Umstand, der Gerdas Neugier und auch ihren Zorn über das Schweigen befeuert. In der aktuellen Politik sehen wir die Folgen: Sobald die Zeiten unsicher werden, beginnt im Drall nach Rechts die Saat zu sprießen wie die Sehnsucht nach der starken Hand.

Mit seinem Roman ist Reinhold Bilgeri wieder auf Lesetournee.

VN: Sie verweben zwei Handlungsstränge: Einerseits das Weiterwirken der NS-Ideologie unter Kriegsgefangenen und von brutalen Feindschaften zwischen Nazis und Nazi-Gegnern in den Gefangenenlagern, wie es Ihr Vater in seinem Kriegstagebuch erzählt. Andererseits die unglaubliche Fluchthilfe des Roten Kreuzes und des Vatikans für NS-Verbrecher etwa nach Südamerika. Gerda, die Protagonistin, nimmt die verbindende Rolle ein. Sie beleuchtet alles mit wachem politischem Interesse. Wie viel Reinhold Bilgeri steckt in Gerda?

Reinhold Bilgeri: In Gerda steckt auch mein Zorn, ja, aber in ihrem sehr optimistischen Charakter steckt auch viel von meiner Tochter Laura, die schon früh ein sehr reflektiertes Wesen war und mit einer entwaffnenden Leichtigkeit an schwere Brocken heranging. Als Gerda sich zum ersten Mal in die Tagebuchblätter ihres Vaters wagt, beginnt sie die Auswirkungen der Gehirnwäsche der dreißiger und vierziger Jahre zu begreifen und als sie durch ihren geliebten Piero erfährt, dass selbst der moralische Kompass des Vatikans seine Richtung verloren hat, beginnt sie nach und nach alle Haltegriffe zu verlieren.

VN: Wie lange und wo haben Sie für dieses Buch recherchiert?

Reinhold Bilgeri: Circa zwei Jahre lang habe ich einschlägige Literatur zu diesem Thema gelesen, das genau erforscht ist, seit die Archive des Vatikans geöffnet wurden. Ich war auf den Spuren meiner Figuren, in Bern, Wien, Rom, Hamburg und in der Wüste Ägyptens.

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VN: Ihren ersten Roman „Atem des Himmels“ haben Sie erfolgreich verfilmt, auch „Das Gewissen der Tauben“ ist eine sehr berührende und spannende Geschichte. Ist eine Verfilmung für Sie ein Thema?

Reinhold Bilgeri: Ja, im Laufe des Schreibens entwickelte sich aus dem historischen Roman und der „Amour Fou“ zwischen Gerda und Piero ein Thriller, der natürlich nach Verfilmung schreit. Ich habe die Szenen schon im Kopf.

VN: Sie sind ein sehr enger Freund von Autor Michael Köhlmeier, der im Sommer 2024 unter dem Titel „Dämonen“ in der Galerie Lisi Hämmerle erstmals seine Malerei präsentierte. Dürfen wir uns auch auf eine Ausstellung von Reinhold Bilgeri freuen?

Reinhold Bilgeri: Mickis wuchernde Kreativität hat mich immer schon umgehauen, auch seine Bilder und er mich mit seiner Ausstellung richtig ‘angespitzt’, aber ich bin bislang nicht ruhig genug, um vor der Staffelei zu dilettieren. Zuerst kommen noch ein paar Filme.

CRO