„Wir haben versagt“

Aktionstheater mit performativer Selbstanklage im Spielboden Dornbirn.
Dornbirn Das Aktionstheater Ensemble feiert am kommenden Dienstagabend im Dornbirner Spielboden sein 35-jähriges Bestehen – mit einem Stück, das die Grundprinzipien des Ensembles radikal auf den Prüfstand stellt. „Wir haben versagt“ ist mehr als ein Theaterstück. Unter der Regie von Martin Gruber wird der Abend zu einer kraftvollen Selbstreflexion, die gleichermaßen verstört und inspiriert. Gewohnt provokant verknüpft die Inszenierung den Zustand der Gesellschaft mit der Verantwortung der Kunst.

Die Produktion setzt auf radikale Ehrlichkeit. Mit beißendem Humor richtet das Ensemble den Blick auf das eigene Versagen, den gesellschaftlichen und politischen Niedergang aufzuhalten. „Seit Jahrzehnten kämpfen wir gegen den Rechtsruck – und doch stehen wir heute inmitten einer gespaltenen Gesellschaft“, sagt Martin Gruber, Leiter des Aktionstheaters. Aus dieser ernüchternden Erkenntnis entwickelt sich eine schonungslose Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Macht und den unzureichenden Antworten, die auch die vermeintlich progressive Seite liefert.

Mühelos wechselt die Inszenierung zwischen scharfer Gesellschaftskritik und groteskem Witz. „Humor ist eine zerstörerische Kraft“, erklärt Gruber, und tatsächlich setzt das Stück ihn als Waffe gegen Selbstmitleid und Resignation ein. Das Publikum erlebt absurde Szenen – etwa eine Schauspielerin, die nach der Nationalratswahl nur noch in Gebärdensprache kommuniziert -, die immer wieder von Momenten tiefen Ernstes unterbrochen werden. Dieses Wechselspiel verleiht dem Stück eine Dynamik, die nicht nur unterhält, sondern immer wieder irritiert und aufrüttelt. Das Theater wird zu einer Plattform, die nicht nur kritisiert, sondern aktiv zum Nachdenken anregt.

Ein prägender Aspekt der Inszenierung ist die Forderung nach Eigenverantwortung. „70 Prozent haben die Rechte nicht gewählt – warum bleiben wir trotzdem untätig?“ Dieser Appell, sich den Herausforderungen aktiv zu stellen, wird unmissverständlich formuliert, ohne jedoch zu einfachen Antworten zu führen. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern um die Frage, wie gesellschaftliche Ohnmacht überwunden werden kann.

Die Themen der Inszenierung werden nicht abstrakt verhandelt. Vielmehr greift das Ensemble persönliche Geschichten auf, um Überforderung und Verzweiflung greifbar zu machen. Gerade diese Fokussierung auf individuelle Perspektiven verleiht der Inszenierung eine Tiefe, die über die rein intellektuelle Auseinandersetzung hinausgeht. Es gelingt, kollektive Konflikte auf eine persönliche Ebene herunterzubrechen und Empathie zu wecken, ohne die Komplexität zu opfern.

Das Aktionstheater erweist sich einmal mehr als Meister darin, das Theater als Raum für kritische Reflexion zu nutzen. Dabei richtet sich der Abend nicht nur an ein linksliberales Publikum. Martin Gruber betont: “Man würde sich wundern, wer alles zu unseren Aufführungen kommt. Der Ansatz, Theater einem breiten Publikum zugänglich zu machen, spiegelt sich in der intensiven Energie des Ensembles wider. Es gelingt, eine Atmosphäre zu schaffen, die ebenso herausfordernd wie einladend ist – und genau darin liegt die Stärke dieser Produktion”.

„Wir haben versagt“ ist keine leichte Kost. Es ist ein unbequemes, aber essenzielles Stück, das seinen Zuschauern mehr als nur Aufmerksamkeit abverlangt. Das Aktionstheater zeigt, wie Kunst gesellschaftliche Verantwortung übernehmen kann – mit schonungsloser Offenheit, bissigem Humor und dem unerschütterlichen Glauben an die Notwendigkeit von Veränderung. Ein Theaterabend, der den Zuschauer nicht nur herausfordert, sondern ihn auch mit der drängenden Frage konfrontiert: Was bin ich bereit zu tun?