Kein schöner Land in dieser Zeit

Das Landestheater präsentierte die Uraufführung von Eva-Maria Bertschys „Fremde Seelen“.
Bregenz „Fremde Seelen“, eine Produktion von Theater Neumarkt und Vorarlberger Landestheater, in Koproduktion mit Belluard Bollwerk International und euro-scene Leipzig, ist eine wunderbare, stille Geschichte, über einen vietnamesischen Pfarrer in einem Schweizer Bergdorf (es könnte aber genauso gut irgendwo in Vorarlberg situiert sein), über eine Mutter, die unter ärmlichen und entbehrungsreichen Umständen auf einem Schweizer Bergbauernhof aufgewachsen ist, und ein weiterer Strang beinhaltet die Flüchtlingsthematik (in diesem Fall konkret die „boat people“, die in der Folge des Vietnamkrieges in Südostasien ab 1975 geflohenen über 1,6 Millionen Menschen meist vietnamesischer Herkunft).

Getragen und umgesetzt wird das Ganze durch die als Schweizer-Tatort-Kommissarin bekannt gewordene bezaubernde und außergewöhnliche Carol Schuler und deren Mitakteur und ausgezeichneten kongolesischen Musiker Kojack Kossakamvwe, sowie 14 Mitglieder des ehemaligen Spielbodenchores. Carol Schuler ist omnipräsent, kompromisslos in ihrer Darstellungsweise, sie verkörpert Carol, die Mutter, Schwester Nang, den Pfarreirat Alois u.a.m., singt fabelhaft und bläst außerdem noch sehr passabel Alphorn.

Es sind die kleinen Geschichten, die dieses Stück so sehenswert machen, kleine Anekdoten, die sich ihren Weg in die Köpfe der Zuschauerinnen bahnen: der vietnamesische Priester, der möglicherweise Suizid begannen hat, es könnte aber auch ein Pilzgericht mit vergifteten Pilzen gewesen sein, dass er zu sich genommen hat, aber: „Als vietnamesische Katholikin sage ich Ihnen: Das ist ausgeschlossen.”

Er hat Krieg und Verfolgung überlebt, die Flucht über das Meer, die ersten Jahre in Europa. Kein gläubiger Mensch würde nach all dem sein Leben gegen das Höllenfeuer tauschen. Wegen ein paar Konflikten mit dem Pfarreirat. Das wäre Irrsinn“, so Schwester Nang. Es ist die Rede von der „sauberen Schweiz“ (70 % der Gelder, die mit dem Handel von wertvollen Materialien wie Lithium, Kupfer, Platin etc. zu tun haben, werden über die Schweiz abgewickelt): „Was ich an der Schweiz nicht ausstehen kann, ist diese übertriebene Sauberkeit, die keinen Grashalm die Freiheit lässt, in eine unvorhergesehene Richtung zu wachsen“, moniert Kojack.

Das Bühnenbild ist von einfacher Strenge. Inmitten des Bühnenbodens steht ein kreisrunder Pool, fußhoch mit Wasser gefüllt, in diesem bewegt sich Carol Schuler vornehmlich und schlichtet Steine in dieses Becken, richtet darin auf einem Tische Frühlingsrollen an etc. Dahinter ein Medaillon, darauf ist eine ländliche Kirche mit dazugehöriger Landschaft zu sehen, später wird diese Scheibe durch drei kreisrunde Spiegel ersetzt und die Mitglieder des Chores tragen weitere Steine in den Pool.

Die Regisseurin Eva-Maria Bertschy ist eine Meisterin der leisen Töne. Gefühlvoll leitet sie ihre Protagonisten, lässt ihnen Raum, entwickelt mit ihnen zusammen behutsam ein Universum. Feinfühlig wird auch der Chor eingesetzt, u. a. mit Liedern wie „Vieux Chalet“ von Abbé Joseph Bovet.

Der legendäre Austropopbarde Rainhard Fendrich schuf 1989 die heute heimliche Bundeshymne Österreichs „I am from Austria“, aber aus seiner Feder stammt auch das Lied „Kein schöner Land in dieser Zeit – und keine Heimat weit und breit“. Es ist zu hoffen, dass nicht „Kein schöner Land“ in Zeiten wie diesen zur „neuen“ österreichischen Bundeshymne mutiert. „Ist das Heimat?“, sagt Carol in der Schlusseinstellung. Viel Applaus.
Thomas Schiretz