Michael Köhlmeier: „Liebe kann böse sein.“

Der Vorarlberger Bestsellerautor über seinen neuen Roman “Die Verdorbenen”.
Hohenems „Die Verdorbenen“ nennt der Vorarlberger Autor Michael Köhlmeier seinen neuen Roman – ein Buch mit sehr hellen, aber auch ein sehr düsteren Seiten. Die Vorarlberger Nachrichten führen mit dem Autor ein Gespräch über das eigentliche Sein in all seinen Facetten.

Herr Köhlmeier, ich nehme an, über „verdorbene Menschen“ ist es interessanter zu schreiben als über gute Menschen, oder?
Köhlmeier Ich frage mich mein ganzes Leben, warum das so ist. Wenn wir uns alte Bilder von der Hölle anschauen – das ist grässlich, man möchte dort nicht sein. Aber der Himmel sieht so langweilig aus, dort wird man verrückt, denkt man. Ich möchte lieber einen Bericht von unten hören als von oben.
In Ihrem Roman schreiben Sie sinngemäß, dass das sich abzeichnende Melodram auf den Hauptdarsteller anziehend wirkt. Warum lockt das Melodram noch immer?
Köhlmeier Das Melodram behauptet: Ich hebe dich in eine Sphäre, die weit über deinem Alltag schwebt. Das Bedingungslose, das Absolute, der Rausch. Du tust etwas Verbotenes, etwas Verfemtes, aber es ist köstlich! Du kannst dabei untergehen, aber es ist köstlich!
Ihre Dreiecksgeschichte erinnert an den französischen Film aus der Nouvelle Vague – herzliche Gratulation! Worin lag der Reiz, diese Geschichte heute zu schreiben?
Köhlmeier Liebesgeschichten interessieren seit viertausend Jahren. Und Dreiecksgeschichten, die locken unsre Neugierde. Wenn sich Liebe mit problematischer Leidenschaft verbindet, da wollen wir zusehen.
Liebe ist das einzige Argument, das Grausamkeit rechtfertigt, oder?
Köhlmeier Grausamkeit sollte durch nichts gerechtfertigt werden. Sagt die Moral. Die Statistik sagt, ein Großteil der Verbrechen geschehen, wenn Liebe und Leidenschaft im Spiel sind. Liebe kann böse sein. Jeder weiß das.
Johann nimmt aus der Dreiecksbeziehung Reißaus. Aber er hält nicht durch?
Köhlmeier Wenn’s brenzlig wird, tut man gut daran, abzuhauen. Das war immer so. Das ist weder feig noch irgendwie abenteuerlich. Es ist vernünftig. Wenn man es kann. Johann kann es nicht. Er kehrt zurück. Darin besteht die Katastrophe.
Im Roman thematisieren Sie den Zufall, der den Protagonisten zu seinem Ziel führt. Kann man hier nicht eher von Bestimmung reden?
Köhlmeier Den Zufall halten wir nicht aus. Er ist ohne Sinn. Wir lieben die Bestimmung. „Wir beide sind füreinander bestimmt.“ Wie oft wird das gesagt. Und dann irgendwann kommt die Scheidung. Wie heißt es dann? Es braucht einen sehr starken Charakter, um den Zufall auszuhalten. Wenn alles Zufall ist, muss der Mensch sich den Sinn selber machen. Das ist sehr schwer. Es ist ein Akt der Selbsterhöhung. Man muss an sich glauben. Sehr glauben. Mehr an sich selbst glauben als an den lieben Gott.
War Johnny Cash für den Roman ein Impulsgeber? Sie haben sein berühmtes Reno-Zitat in Verwendung.
Köhlmeier „Ich erschoss einen Mann in Reno, nur um zu sehen, wie er stirbt.“ Ja, diese Zeile hat mich immer sehr beschäftigt und tut es noch immer. Die böse Tat ohne Motiv. Das wollen wir nicht. Das wollen wir nicht verstehen. Und niemals akzeptieren. Wenn einer aus Leidenschaft tötet, schlimm, aber wir verstehen es. Wenn einer wegen Geld tötet, schlimm, aber wir verstehen es. Wenn einer tötet, nur weil er sehen will, wie ein anderer stirbt … nein. Da brechen die Weltbilder zusammen.
Wenn ich Sie erneut zitieren darf: „Das Böse hat Lust auf sich selbst.“ Das Gute auch?
Köhlmeier Ich glaub schon. Alles, was man tut, was man längere Zeit tut, hat Lust auf sich selbst. So sind wir. Ein interessanter Gedanke, finde ich.
„Verdorben und zugleich unschuldig“, kann man Johann so in einem Satz beschreiben?
Köhlmeier Der Kommissar am Ende tut es. Er sagt, das sei die schrecklichste Mischung. Ich weiß es nicht. Ich halte mich da raus. Ich bin nur der Erzähler, nicht der Interpret dessen, was meine Figuren sagen.
Martin G. Wanko
Michael Köhlmeier: „Die Verdorbenen“, 160 S, Hanser Verlag