Körper, Material und die Grenzen der Wahrnehmung

Verkörperte Fragilität: Sophie Hirschs Installation im Kunstraum Dornbirn.
Dornbirn Am Donnerstag um 19 Uhr eröffnet der Kunstraum Dornbirn die Ausstellung „Child’s Play“ der Wiener Künstlerin Sophie Hirsch. Bis zum 9. Juni haben Besucher die Möglichkeit, eine Installation zu erleben, die künstlerische Persönlichkeit, Materialität und Raum als zentrale Elemente vereint.

Sophie Hirsch geht in ihrer Arbeit davon aus, dass Kunst weit über den individuellen Ausdruck hinausgeht. Sie transformiert private Empfindungen in universelle Erfahrungen, die den Betrachter berühren, irritieren oder herausfordern können. Besonders auffällig ist dabei das Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Polen – etwa zwischen Intuition und Struktur, Weichheit und Härte. Diese Dualität ist nicht nur ein Gestaltungsprinzip, sondern wird in der Ausstellung als elementarer Bestandteil menschlicher Erfahrung sichtbar gemacht.

Ein charakteristisches Merkmal ihrer Arbeit ist die Transformation alltäglicher Materialien. Hirsch verwendet Objekte wie Faszienrollen, Massagebälle, Ketten, Panikhaken, Ösen und Sprungfedern. Diese Gegenstände, die ursprünglich für ganz andere Zwecke gedacht waren, erhalten in der Installation eine neue Bedeutung. So werden beispielsweise Massagebälle mit Beton gefüllt, wodurch sie ihre ursprüngliche Funktion verlieren und stattdessen als Gegengewichte fungieren. Die Künstlerin zeigt damit, wie persönliche Erfahrungen und körperliche Empfindungen in eine allgemein verständliche Bildsprache übersetzt werden können.

Ein ebenso wichtiges Element ist die bewusste Einbeziehung des Raumes. Sophie Hirsch hat sich dafür entschieden, den Kunstraum Dornbirn nicht nur als neutrale Umgebung zu betrachten, sondern ihn aktiv in die Installation miteinzubeziehen. „Dieser Raum ist eine Herausforderung – und eine Inspiration zugleich. Er ist in sich so ästhetisch und präsent, dass er eigentlich keine Kunst braucht. Das war die Ausgangsfrage: Wie kann ich mit dem Raum arbeiten, ohne in Konkurrenz zu treten, ohne von ihm verschluckt zu werden? Mir war schnell klar, dass ich den Boden berühren, aber die Wände und die Decke unangetastet lassen wollte“, erklärt sie. Ein freistehendes, modulares System aus Aluminiumstangen bildet das Grundgerüst der Installation. Trotz der Leichtigkeit des Materials entsteht eine Konstruktion, die Stabilität und Bewegung vereint. Durch Rohre geführte Ketten versetzen das System in Schwingung und erzeugen ein ständiges Wechselspiel von Zugkraft und Gegengewicht – ein Bild für das fragile Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Loslassen.

Der Titel „Child’s Play“ verweist einerseits auf die unbeschwerte Leichtigkeit des kindlichen Spiels, enthält aber auch eine ironische Note: Was auf den ersten Blick spontan und mühelos erscheint, entpuppt sich als sorgfältig durchdachte und vielschichtige künstlerische Konstruktion. Der Besucher ist nicht nur passiver Betrachter, sondern zur aktiven Auseinandersetzung mit der Installation eingeladen. Er kann sich zwischen den Elementen bewegen, verschiedene Perspektiven einnehmen und so das Zusammenspiel von Körper, Raum und Material unmittelbar erfahren.

Ein weiteres zentrales Motiv in Hirschs Werk ist die Verbindung von Physis und Psyche. Inspiriert durch ihre intensive Beschäftigung mit Körperarbeit und Gleichgewichtsprinzipien im Pilates überträgt sie diese Konzepte in den künstlerischen Raum. Dehnung und Kräftigung, Spannung und Entspannung werden hier nicht nur metaphorisch, sondern auch materiell erfahrbar. Die Installation erzeugt ein Wechselspiel zwischen Widerstand und Nachgiebigkeit, Kontrolle und Bewegung – ein Spiel der Kräfte, das den Betrachter immer wieder neu herausfordert.
child’s play
Zwei Minuten zur Ausstellung:
Betreten wir den Kunstraum Dornbirn, kann der erste Moment erschreckend oder überwältigend sein. Wir stehen vor einem riesigen Objekt, das an Ketten von einem sechs Meter hohen Gerüst hängt. Der Anblick erinnert an Faszien, Fleisch oder Blut. Normalerweise ist all das unsichtbar im Körperinneren verborgen. Im zweiten Moment sind wir nicht mehr abgestoßen, sondern vielmehr fasziniert und neugierig – wie entstehen diese wunderschönen, glänzenden Oberflächen?
Sophie Hirsch (*1986) breitet dafür zuerst am Boden ihres Wiener Ateliers circa 400 kg Gips aus. Diese Masse bearbeitet die österreichische Künstlerin mit den Händen. Durch die Spuren und Bewegungen entsteht eine kleine Landschaft. Anschließend wird das Silikon aufgetragen und ein rot gefärbter Neoprenstoff darübergelegt. Das Silikon kriecht in die Maschen des Gewebes und trocknet dort – es verbindet sich mit dem Stoff. Gemeinsam wird es vom Gips abgenommen. Es entsteht eine gummiartige, flexible und glänzende Fläche. Zum ersten Mal hat die Künstlerin sie für die Ausstellung in dieser Größe geschaffen.
In der Oberfläche erkennen wir die Handbewegungen, die zeigen, dass viel Bewegung, Kraft und Mühe aufgewendet werden. Das Material erzählt die Geschichte seiner Verarbeitung. Auch sehen wir die gespannten Sprungfedern, die verdeutlichen, dass hier einiges an Gewicht gehalten wird. Die im Raum verteilten Gerüstkonstruktionen balancieren Zug und Druck aus, um Stabilität zu erreichen. Alles steht still und scheint doch in Bewegung zu sein.
Wir sind eingeladen, uns selbst zu bewegen, um den Raum zu entdecken. Der Weg führt rechts des großen Silikons mitten durch das Gerüst.
Wir entdecken Gerüste mit Massagebällen und Faszienrollen, deren Form uns bekannt scheint. Sie erinnern uns daran, wie wir mit ihrer Hilfe unsere verklebten Faszien ausrollen könnten oder den Rücken massiert bekommen würden. Wir können das fast spüren, wenn wir diese Gegenstände sehen. So bauen wir eine eigene körperliche Beziehung zu dem auf, was hier in der großen Halle jetzt Kunst ist und nicht mehr benutzt werden kann. Themen wie Körpergefühl, Gesundheit oder kritische Selbstbeobachtung könnten uns hier einfallen. Aber auch Fragen nach Verlangen, Schmerz, Verletzlichkeit oder Sehnsucht können im Hinblick auf die Silikonarbeiten aufkommen.
Es bleibt uns überlassen, ob wir uns über die Kunst von Sophie Hirsch mit diesen Gedanken auseinandersetzen oder einfach die Schönheit der Oberflächen genießen und die Wege durch die Gerüstkonstruktionen spielerisch erkunden.
Eröffnung am Donnerstag, 13. März, 19 Uhr
Künstlerinnengespräch Freitag, 14. März, 14 Uhr
Ausstellungsdauer 14. März bis 9. Juni
Lehrer:innenführung | PH Vorarlberg: Donnerstag, 27. März, 15 Uhr
After-Work-Tours: Donnerstags um 18 Uhr, 8. Mai und 5. Juni