Die männliche Glatze als Einstiegswalzer

Kultur / 10.04.2025 • 12:19 Uhr
Wolfgang Hermann
Wolfgang Hermann: “Herr Faustini lässt mich noch nicht los. Aber ich werde auch andere Charaktere durchs Leben begleiten”. roland paulitsch

Wolfgang Hermann veröffentlichte den sechsten Band seiner Faustini-Reihe.


Dornbirn/Wien Mit einer Figur steht das Schaffen des Autors Wolfgang Hermann in einer besonderen Verbindung: dem liebenswürdigen Sonderling Herr Faustini. 2006 erschien mit „Herr Faustini verreist“ der erste Band. Knapp 20 Jahre später ist mit „Herr Faustini und die Glatze der Welt“ der sechste Band erschienen. Schreiben ist Bilder in Folge zu bringen, sagte der 64-jährige, in Wien lebende Vorarlberger einmal. Nirgends passt dieser Satz besser als zu Hermanns Eigenbrötler. Nur so vermag es der vielfach ausgezeichnete Literat, die gewöhnlichen Alltäglichkeiten detailreich zum Leben zu erwecken. Mehr noch: einen Sog zu erzeugen, der Spannung in das unaufgeregte Dasein bringt. Hermann erschafft eine Welt, die den kleinen Dingen Farbe gibt. So entstehen beim Lesen die Abenteuer im Kopf. Wären wir nicht alle gerne ein klein bisschen wie Herr Faustini?

Wie viel Herr Faustini steckt in Ihnen? Oder ist er ein Seelenverwandter?

Herr Faustini hat mich damals in meiner dunkelsten Zeit aus einem schwarzen Schacht gezogen. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Er besucht mich von Zeit zu Zeit und bereitet mir Freude. Es scheint, ich komme nicht mehr von ihm los. Und wie das bei engen Beziehungen so ist, vermengen sich zwei Seelen nach und nach.

Der all umspannende Gedanke ist die Parallelität zwischen dem Kahlschlag der Erde und dem Haarverlust der Männer. In welcher Verbindung steht der kauzige Antiheld zu diesem Gedanken? Wie passt das zu Herr Faustini?

Die Theorie von der wahren Ursache der vermehrten Glatzenbildung bei jungen Männern ist natürlich ein kleiner Scherz, der aber etwas in Gang bringt. Wie das so ist, wenn man sein Augenmerk auf etwas legt, sieht man überall Entsprechungen. Die Glatze ist hier der kleine Einstiegswalzer in die Geschichte.

Fürchten Sie sich davor, eine Glatze zu bekommen?

Ich bin schon jenseits der Demarkationslinie. Die Weichen für die Glatze werden meist früher gestellt. Aber wer weiß, welchen Scherz sich das Leben noch mit mir erlauben mag.

Herr Faustini lebt in Hörbranz. Welche Rolle spielt das Ländle in Ihrem Schaffen?

Vorarlberg ist meine Heimat, die eine tragende Rolle in meiner Arbeit spielt. Nicht nur die Faustinis sind hier angesiedelt, sondern die Matrize meiner Bücher ist wohl meine Herkunft von hier.

Und die Sprache? Welche Möglichkeiten eröffnet sie?

Ich denke, es ist wie in der Musik. Schon der erste Ton gibt eine Richtung vor, ob getragen oder heiter. Ich verknüpfe innere Bilder miteinander, ich suche nach dem Sog der Bilder. Das ergibt dann einen Rhythmus, und der geht in Sprache über.

Sie sagten einmal: „Mich interessieren Menschen, denen ich in meinen Büchern ein Leben schenken möchte. Wer könnte das als Nächstes sein?

Herr Faustini lässt mich noch nicht los. Aber ich werde auch andere Charaktere durchs Leben begleiten.

Die Gesellschaft ist im Wandel, der Ton wird rauer: Bräuchte es nicht mehr Menschen wie Herr Faustini auf dieser Welt? Können sie etwas verändern?

Wenn jeder zweite ein Herr Faustini wäre, würde den anderen bald der Spaß am Streit vergehen, denn mit Faustini kann man nicht streiten, dafür geht er zu unschuldig durchs Leben.


CRO