Das Leben ist kein Malbuch

Kultur / 16.04.2025 • 11:17 Uhr
„Geschwister – Eine Utopie des Miteinander“.
„Geschwister sind die einzigen Menschen, die dich zu ihrem eigenen Vergnügen schikanieren”. Anna Amanda Steurer

Theater Mutante präsentiert „Geschwister – Eine Utopie des Miteinander“.

Bildstein Es war ein wunderschöner Aprilabend und der Blick von Bildstein über das Rheintal, in die Schweizer Berge und über den Bodensee zum Sonnenuntergang war nahezu atemberaubend. Als Kulisse für den neuesten Coup des Theater Mutante unter der Regie und Gesamtleitung von Andreas Jähnert diente der Wallfahrtsort, die knapp 800 Menschen zählende Gemeinde Bildstein, mit ihrer Barockbasilika Maria Bildstein. 1629 fand hier angeblich eine Marienerscheinung statt; den Kindern Martin und Hans Höfle erschien im Baumgartner Tobel am Waldesrand eine Frau „ganz in weiß“ und „glänzend wie die Sonn“.

„Geschwister – Eine Utopie des Miteinander“.
„Geschwister – Eine Utopie des Miteinander“: Ein stimmiger Abend voller Mystik, Geschichte und Gesellschaftskritik. Anna Amanda Steurer

Die Kostüme der Schauspielerinnen Ina Jaich und Lisa Perner waren ebenfalls ganz in Weiß gehalten und das Publikum wurde wie bei den Mysterienspielen des Spätmittelalters aufgefordert, den beiden Akteurinnen durch den Ort zu ihren Spielstätten zu folgen. Gestartet wurde im Basilikasaal, dann wurde das Publikum nach außen dirigiert, Blick auf das Fußballfeld, auf dem es sich die ChorLust Lustenau in mehreren kleinen Gruppen auf Picknickdecken bequem gemacht hat und „sing all together“ intonierte, währenddessen die beiden Schauspielerinnen sich auf einem Segelboot in Stellung brachten: „Kein Boot für Nazis. Genau wir steigen mit keinem Nazi ins Boot.“ Das Boot gehört zur theatralischen Wanderung dazu und wird auch zu den folgenden Aufführungsorten mitgezogen. Man segelt „über die Berge, von Wirtshaus zu Wirtshaus von Kirche zu Kirche. Sie machen in ländlichen Gemeinden halt, wo sie mit den Einwohnern ins Gespräch kommen und die Fragen nach Gemeinwesen, Familie und Vergangenheit stellen“, so ist es im Klappentext zu lesen. Vom Fußballfeld zum Dorfbrunnen und der letzte Ort des Geschehens verlagerte sich auf den Platz vor der Basilika bzw. dem Platz zwischen Pfarramt und Gemeindeamt, wo Tische zu einem Kreis aufgebaut wurden, auf denen sich im Überfluss diverseste Fressalien befanden. Während sich ein „opulentes letztes Abendmahl“ vor dem Publikum auftürmt, ist aus dem Off „Radio Bodensee“ ein Interview zu hören. Bruchstückhaft wird darin auf Themen wie das Pilgern der „Schnösel aus Bregenz, aus Feldkirch … Alle wollten’s das Wunder sehen“, auf die Teuerung von Speiseeis „wer den Kapitalismus nicht verstehen will, der soll mir nicht mit dem Faschismus kommen“ und vor allem auf die Freiheit jedes einzelnen eingegangen „Freiheit wollen wir! Freiheit! Freiheit!“ eingegangen.

„Geschwister – Eine Utopie des Miteinander“.
Anna Amanda Steurer

Der Text von Christian Kühne ist stakkatohaft aufgebaut, Themen werden angerissen, um danach gleich wieder fallen gelassen zu werden. Etwas unterbelichtet war das Thema „Geschwister“. Man sucht sich seine Geschwister nicht aus und Geschwister können sowohl dein schlimmster Feind als auch dein bester Freund sein. Der Autor Robert Brault meinte treffend: „Geschwister sind die einzigen Menschen, die dich zu ihrem eigenen Vergnügen schikanieren und alle anderen verprügeln, die es versuchen“, oder „Meine Geschwister sind meine besten Freunde – und doch wollen wir uns manchmal gegenseitig erwürgen.“

„Geschwister – Eine Utopie des Miteinander“.
Anna Amanda Steurer

Hingegen wird das Augenmerk auf die derzeitige politische Lage mit dystopischen, alten, weißen Männern gelegt (Putin, Trump, Netanjahu), immer wieder wird die Marienerscheinung ins Spiel gebracht und das alles nicht mehr so sei wie früher einmal: „Andere Zeiten waren das. Eine andere Welt, ein anderes Leben …“. Andreas Jähnert führt die beiden toll agierenden Schauspielerinnen gekonnt durch die latent vorhandenen Abgründe und entwickelte ein stimmiges Gesamtkonzept. Der Sound von Peter Piek war präzise und treffsicher.

Thomas Schiretz

Geschwister – Eine Utopie des Miteinander

Theater Mutante

18. und 20.4., 19.00 Uhr Lochau Alte Fähre