Ein bisschen Faust, ein bisschen Techno

Goethes Klassiker im Landestheater oder: Wenn einem nichts mehr einfällt, singt man eben.
Bregenz Auf der Homepage des Vorarlberger Landestheaters wird die Frage gestellt: „Kann man, muss man ‘Faust’ heute noch spielen?“ Die Antwort auf der Bühne bleibt vage, denn man zeigt eine gekürzte Fassung, in der ausgelassene Passagen durch Musiknummern ersetzt werden. Offenbar traut man dem Stück nicht mehr – und der Geduld des Publikums auch nicht. Seit einige Bregenzer Inszenierungen erfolgreich auf popmusikalische Elemente setzen, scheint der Gesang nun zur Standardausstattung zu gehören. Ob dieser Zugang zum Stoff passt, scheint zweitrangig.

Und es stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Goethes „Faust“ gekürzt werden muss. Anders als viele Klassiker der Schullektüre wird das Stück nicht gespielt, weil es bekannt ist, sondern weil es sprachlich und gedanklich zu den zentralen Texten der deutschen Theaterliteratur gehört. Und wenn schon Kürzungen und musikalische Einsprengsel, dann sollte wenigstens ein szenisches Konzept erkennbar sein – und nicht nur die Suche nach dem kurzfristigen Effekt. In der Inszenierung von Max Merker, der mit Produktionen wie „Kafka in Farbe“ oder „Fabian“ eigene Akzente gesetzt hat, bleibt eine solche Linie jedoch unklar. Nach einer ersten, eher albernen Musik- und Tanzeinlage folgen Popsongs von Chris Isaak oder Lana Del Rey, gemischt mit Techno-Elementen, die erwartungsgemäß beim Hexentanz zum Einsatz kommen; gerade hier wirkt das eher konventionell als originell.

Heinrich Faust ist bei Goethe ein Mann um die fünfzig. In anderen Werken mag das Alter der Figur interpretierbar sein – hier ist es dramaturgisch von zentraler Bedeutung. Der Altersunterschied zwischen Faust und Gretchen ist keine biografische Nebensache, sondern ein Spannungsmoment. Er verweist auf ein strukturelles Ungleichgewicht: Faust tritt als gelehrter, gesellschaftlich privilegierter Mann in Gretchens Leben – durch Mephistos Hilfe zum fast Allmächtigen überhöht. Gretchen hingegen ist jung, gläubig, sozial benachteiligt, ohne Zugang zu Bildung und Handlungsmacht. Diese Differenz steht nicht nur für ein moralisch prekäres Verhältnis, sondern auch für ein Machtverhältnis, das über die Figuren hinausweist – auf Geschlechterrollen, Erwartungen und die Enge sozialer Kontexte, aus denen Gretchens Tragödie hervorgeht.

Goethes Dramaturgie schafft hier eine Fallhöhe, die sich aus dem Ungleichgewicht von Wissen, Alter, Sprache und Freiheit ergibt. Diese Dimension bleibt in der Bregenzer Inszenierung unterbelichtet. Luzian Hirzel nimmt man den fünfzigjährigen Faust nicht ab, seine Darstellung wirkt zudem seltsam unentschieden – die existenzielle Exzessivität, die diese Figur auszeichnet, bleibt aus. Weder intellektuell noch sinnlich wird sie greifbar. Die Ambivalenz, die Goethe ihr eingeschrieben hat, findet hier keine Entsprechung.

Mephisto, eine der faszinierendsten Figuren der deutschen Dramenliteratur, erscheint in dieser Inszenierung seltsam eindimensional. In seinem Wechselspiel aus Ironie, Intellekt, Zynismus und Verführung liegt seine eigentliche Sprengkraft. Milva Stark setzt in ihrer Darstellung zu stark auf äußere Zeichen: finsterer Blick, dämonisches Lachen, schrille Kommandos, gestisches Spiel – Klischees, die der Ambivalenz der Figur nicht gerecht werden. Denn Mephisto ist kein offensichtliches Ungeheuer. Er verführt durch Witz, Bildung, Leichtigkeit. Sein Schrecken liegt im diskreten, nonchalanten Charme.

Rebecca Hammermüller überzeugt dagegen als Gretchen. Ihr Spiel changiert präzise zwischen Naivität und Reflexion, zwischen Verunsicherung und Aufbegehren. Sie findet eine klare Sprache für die Wandlung der Figur, gestützt auf eine sorgfältig geführte Artikulation, ihre klare, angenehme Stimme und eine starke Bühnenpräsenz. Ihre Darstellung bleibt glaubwürdig, ihr Wahnsinn berührt, ihre Erinnerung ist brüchig, aber in der Sprache verankert.

Vorstellungen
Fr, 25.04.2025, 19.30 Uhr
Mi, 21.05.2025, 19.30 Uhr
Sa, 24.05.2025, 19.30 Uhr
Do, 12.06.2025, 19.30 Uhr
Vormittagsvorstellungen
Fr, 25.04.2025, 10.00 Uhr
Do, 12.06.2025, 10.00 Uhr