Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Das Theater Kosmos präsentierte die Uraufführung des Stücks von Philip Jenkins.
Bregenz Was bedeutet verlorene Zeit? Einerseits die Zeit, die als vergeudet erscheint, und andererseits die Zeit, die unwiederbringlich vergangen ist, wenn sie nicht in der Erinnerung oder in einem Kunstwerk konserviert wird. Die meisten von uns kennen Marcel Prousts Monumentalwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ vom Hörensagen, ein siebenteiliger Roman über 5000 Seiten, erschienen zwischen 1913 und 1927. Die Publikation der letzten drei Bände erlebte Proust selbst nicht mehr, er starb bereits 1922.

Der Regisseur und Autor des dieses Stücks, Philip Jenkins, hat sich dieser einflussreichen „Erinnerungsreise der Literatur des 20. Jahrhunderts“ auf sehr behutsame Weise angenähert und daraus ein Destillat von 85 Minuten erarbeitet in dessen Mittelpunkt die glücklich/unglückliche Beziehung von Charles Swann (Hubert Dragaschnig) und Odette de Crécy (Sabine Lorenz) steht. Doch über allem thront souverän und stimmgewaltig „Österreichs schwärzeste Stimme“, der Musiker George Nussbaumer als Marcel, der Ich-Erzähler, der „von seinem Leben und vom Vorgang des Sich-Erinnerns“ erzählt. Die Bühne ist in vier verschieden hohe Ebenen eingeteilt und auf der höchsten sitzt in einem komfortablen Sessel George Nussbaumer „the godfather of time“ oder auch der „Gott der Erinnerung“. Man hört ihm gerne zu, seine sonore Stimme ist sein Markenzeichen, aber auch das, was er zu sagen hat: „Ich rede nur, weil die Stille mich nervös macht, sonst sagt niemand was.“

Die Beziehung der beiden, Odette und Charles ist von starken Gefühlen (zumindest aus Sicht von Charles) geprägt, insbesondere von Obsession, Eifersucht, Kontrollzwang, aber auch von Illusion.

Trotz aller Zweifel heiratet Swann Odette, doch über weite Strecken bleibt diese Beziehung eine eher unglückliche, die schlussendlich in Gewohnheit und Resignation endet. Charles versucht Odette immer wieder Geschichten aus ihrer Vergangenheit zu entlocken, aus einer Zeit bevor sie mit Charles zusammenkam: „Odette, was geschah damals unter der Tribüne der Seebühne?“ Das ist nicht tiefgreifend und berührt nicht wirklich.

Mehr Doppelbödigkeit zeigt sich in der Szene als Odette auf dem Sofa sitzend das Wochenmagazin „Die Zeit“ liest und Charles aus dem Hintergrund tönt: „Ich hab‘ schon wieder meine Zeit verloren.“ Der Text mäandert zu sehr an der Oberfläche, gleichsam wie die Beziehung der beiden, Illusion und Selbsttäuschung, so wie Odette eine Projektionsfläche für Swanns Fantasien ist, ist Jenkins Text ein behutsames Konstrukt aus Flüchtigkeiten und Vanität, so wie das Leben es eben schreibt. Es sind die Banalitäten des Alltags, die das Leben komplettieren und erst lebenswert machen, nicht die „perfect days“, die so selten wie der Halleysche Komet, also alle 75 Jahre in Erdnähe vorbeihuscht, in einem gelebten Leben auftauchen.

Das lässt uns Jenkins wissen, denn er verwendet dramaturgische Stilmittel der Unterbrechung durch Nebenakteure, die unaufgeregt über ihre Profession oder auch Anekdotenhaftes aus ihrem Leben erzählen, ob nun Karin Müller-Vögel von der Waldschule Bodensee, Monika Sommerer von der Hypnotherapie, Julien Sénamaud von seiner Leidenschaft als Bergretter, Ophélie Masson vom Loiretal oder Monika Bauer über Poesie und Werner Bergengruen und last but not least der studierte Astronom und Astrofotograf Philipp Salzgeber über den besagten Halleyschen Kometen, der das letzte Mal 1986 und vorletztes Mal 1910 zu sehen war.

Just in dem Jahr 1909 tauchte ein gewisser Marcel Proust einen Zwieback, der später zu einer Madeleine wird, in seinen Tee und wird dadurch unwillkürlich in seine Kindheit zurückversetzt. „Im Juli dieses Jahres zog er sich von der Welt zurück, um seinen Roman zu schreiben.“ Ein entspannter, vergnüglicher Abend.
Thomas Schiretz
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Uraufführung von Philip Jenkins
Weitere Vorstellungen:
10., 11., 15., 16., 17., 24., 25., 28., 29. Mai 2025, jeweils 20.00 Uhr
Theater Kosmos
www.theaterkosmos.at