Fragile Zonen zwischen Kunst und Raum

Kultur / 18.07.2025 • 12:01 Uhr
Bildstein Glatz
Die Werke – „Erstbesteigung II“ und „Habitable Zone (Modell der Wirklichkeit)“ – sind bis 9. November zu sehen. daniel furxer

„Erstbesteigung II“ und Habitable Zone (Modell der Wirklichkeit)“ am und im vorarlberg museum.

Bregenz Mit zwei eigens für das vorarlberg museum konzipierten Interventionen verwandelt das Künstlerduo Bildstein | Glatz sowohl die Außenfassade als auch das Atrium des Hauses in experimentelle Räume an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Grenzerfahrung. Die Werke – „Erstbesteigung II“ und „Habitable Zone (Modell der Wirklichkeit)“ – sind bis 9. November zu sehen und laden zur aktiven Auseinandersetzung ein. Das begleitende Vermittlungsprogramm ermöglicht zudem eine direkte Beteiligung.

Bildstein Glatz
Die bis zu 18 Meter hohen Elemente tragen eine kreisrunde Plattform. daniel furxer

Ausgangspunkt ist die markante Betonblumenfassade an der Kornmarktseite. Sie erinnert formal an eine Kletterwand und wird zur Projektionsfläche für eine Reflexion über das menschliche Bedürfnis, das Unbekannte zu erschließen. In „Erstbesteigung II“ verknüpfen Bildstein | Glatz Kunst und Extremsport nicht als Gegensätze, sondern als parallele Systeme von Überwindung und Erkenntnis.

Bildstein Glatz
daniel furxer

Bereits der Titel verweist auf einen Bruch im linearen Denken: Eine zweite „Erstbesteigung“ widerspricht der Definition – und erzeugt so Irritation. In einem an der Museumsfassade befestigten Biwakzelt sitzen zwei Männer: der eine beißt in einen Apfel, der andere blickt über den Bodensee. Eine Szene zwischen Kontemplation und Abenteuer. Doch angesichts ökologischer Unsicherheiten kippt das Bild – das Zelt wirkt nicht mehr nur sportlich, sondern auch prekär.

Bildstein Glatz
Bildstein Glatz: „Erstbesteigung II“ und „Habitable Zone (Modell der Wirklichkeit)“. daniel furxer

Die Installation ruft Assoziationen zu temporären Schutzräumen hervor – und formuliert Fragen zur Wahrnehmung von Sicherheit und öffentlichem Raum.
Im Inneren des Museums öffnet sich ein zweiter Erfahrungsraum. In „Habitable Zone“ rekonstruieren ultramarinblau eingefärbte Holzsäulen das Volumen des Atriums. Die bis zu 18 Meter hohen Elemente tragen eine kreisrunde Plattform. Durch die monochrome Färbung wirkt der Raum entmaterialisiert, optisch entzogen.

Bildstein Glatz
Bildstein Glatz: „Erstbesteigung II“ und „Habitable Zone (Modell der Wirklichkeit)“. daniel furxer

Der Blick verliert an Halt, das räumliche Orientierungsgefühl wird instabil. Erst aus der Galerie im vierten Stock erschließt sich das Gesamtbild: eine isolierte Plattform mit einem einzelnen Zelt – wie ein bewohnbarer Raum unter Extrembedingungen. Das Werk macht erfahrbar, wie fragil vermeintlich stabile Strukturen sind – sowohl physisch als auch in symbolischer Hinsicht. Themen wie Schutz und Verletzlichkeit, Nähe und Rückzug werden nicht erklärt, sondern szenisch zugespitzt.

Bildstein Glatz
Bildstein Glatz: „Erstbesteigung II“ und „Habitable Zone (Modell der Wirklichkeit)“.matthias bildstein

„Kunst ist wie ein Unfall – unerwartet, disruptiv, ein Moment, der Wahrnehmung erschüttert“, sagen Bildstein | Glatz über ihr Schaffen. „Unsere Arbeiten schaffen solche Brüche, in denen die Wirklichkeit zu wanken beginnt und Veränderung möglich wird. Es sind Räume des Dialogs zwischen Mensch, Architektur und Vorstellungskraft – sie fordern dazu auf, das Verhältnis von Kunst, Raum und Leben neu zu verhandeln.“ Ein offenes Atelier während der Sommerferien ermöglicht Besucherinnen und Besucher eigene Beiträge – diese werden im Stiegenhaus präsentiert und als Teil der Ausstellung verstanden.

Bildstein Glatz
Bildstein Glatz: „Erstbesteigung II“ und „Habitable Zone (Modell der Wirklichkeit)“. daniel furxer

Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeiten der Österreicher Matthias Bildstein und der Schweizer Philippe Glatz an künstlerischen Interventionen, die zwischen Extremsport, partizipativer Praxis und spekulativem Raumdenken angesiedelt sind. Zu ihren Projekten zählen unter anderem eine unvollendete Brücke über den Bodensee (2009), eine temporäre Radrennbahn im Palais Liechtenstein (2014), die Installation „LOOP“ im Klosterensemble der Kartause Ittingen (2017/22) oder die schwebende Rampe „Himmel III“ im Safiental (2018). Immer geht es um räumliche Erkundung – und die Frage, was Wirklichkeit im Raum der Kunst bedeuten kann.